Thyssen-Krupp ruft zur Beichte
Der Stahlkonzern fordert seine Mitarbeiter zur Aufklärung auf. Gegenleistung: Verzicht auf Kündigung.
Essen. Jeder der weltweit 150 000 Thyssen-Krupp-Mitarbeiter, der eine E-Mail-Adresse hat, fand am Dienstag brisante Post von seinem Arbeitgeber im elektronischen Briefkasten. Ab jetzt läuft die Uhr, bis zum 15. Juni hat jeder noch Zeit: Wer etwas über Kartellverstöße oder Korruption in dem Unternehmen weiß oder daran mitgewirkt hat, soll sich jetzt melden.
Der Anreiz, den Thyssen-Krupp im Gegenzug bietet: Man will keinen Schadensersatz „bezüglich eines in der Vergangenheit liegenden Fehlverhaltens“ geltend machen. Auch werde man das Arbeitsverhältnis nicht einseitig auflösen, sprich: der Mitarbeiter muss keine Kündigung fürchten. Aus Unternehmenskreisen heißt es freilich: Eine Versetzung oder auch eine Einkommenskürzung ist, je nach Verantwortlichkeit, dadurch nicht ausgeschlossen. Was erst ab Mitte Juni bekannt wird, kann jedoch zum Jobverlust führen.
Der Thyssen-Krupp-Konzern ist mit diversen Kartellrechtsvorwürfen und -verstößen konfrontiert. Da ist das Aufzugs- und Rolltreppenkartell, das die EU-Kommission schon 2007 mit Millionen-Bußgeldern ahndete. Und das Schienenkartell, dessen ersten Teil das Bundeskartellamt 2012 abschloss: Vier Hersteller hatten sich jahrelang nahezu konstante Quoten am Auftragsvolumen der Deutschen Bahn zugesichert. Allein gegen Thyssen-Krupp wurden 103 Millionen Euro Bußgeld verhängt.
Doch dieses Bußgeld bezog sich nur auf einen Teil der Vorwürfe. Mutmaßliche Absprachen wegen Schienen und Weichen für regionale und lokale Nahverkehrsgesellschaften sind damit noch nicht aufgearbeitet. Und dann waren da auch noch die Durchsuchungen Ende Februar bei Thyssen Krupp und zwei weiteren Stahlherstellern. Der Verdacht: Preisabsprachen bei Stahl-Lieferungen an die Autoindustrie.
Einem Kartellsünder droht zweifaches Ungemach: Neben den Bußgeldern ein Millionen-Schadensersatz, den die durch die Preisabsprachen geschädigten Unternehmen geltend machen. Die Deutsche Bahn hat bereits Ende letzten Jahres Klage gegen die Beteiligten des Schienenkartells eingereicht. Begründung: Da die Schieneninfrastruktur zum weit überwiegenden Teil durch Mittel des Bundes und weiterer Zuwendungsgeber finanziert wird, vertrete man vor allem die Interessen der Steuerzahler.
Auch wenn ThyssenKrupp selbst von Amnestie spricht — echte Straffreiheit kann man keinem Mitarbeiter garantieren. Das Strafen, ein Straferlass oder eine Begnadigung sind Sache des Staates. Die Thyssen-Krupp-Amnestie hingegen kann nur eine arbeitsrechtliche und zivilrechtliche Dimension haben — Verzicht auf Kündigung und Schadensersatz.