Ulrich Lehner zieht Reißleine Thyssenkrupp-Krise spitzt sich zu: Aufsichtsratschef geht
Essen (dpa) - Nach dem überraschenden Rücktritt von Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger muss der Industriekonzern einen weiteren wichtigen Abgang verkraften.
Ulrich Lehner (72) werde mit Wirkung zum 31. Juli 2018 sein Mandat als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Thyssenkrupp AG niederlegen und aus dem Aufsichtsrat ausscheiden, teilte das Dax-Unternehmen Konzern am Montagabend mit. Das Aufsichtsgremium werde in Kürze über die Nachfolge Lehners einen Beschluss fassen.
Damit spitzt sich die Führungskrise bei Thyssenkrupp zu, die mit Hiesingers Rücktrittsgesuch Anfang Juli eingesetzt hatte. Übergangsweise leitet inzwischen Finanzvorstand Guido Kerkhoff das Unternehmen. Hiesinger hatte zu seinem Rücktritt erklärt, er „gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion im Aufsichtsrat über die Zukunft von Thyssenkrupp zu ermöglichen“.
Lehner nannte in der Mitteilung vom Montag das mangelnde Vertrauen der großen Aktionäre als Grund für sein Ausscheiden. Ein gemeinsames Verständnis im Aufsichtsrat über die strategische Ausrichtung sei nicht mehr gegeben gewesen. Druck hatte vor allem der schwedische Finanzinvestor Cevian aufgebaut, dem die Umbaubemühungen von Thyssenkrupp nicht weit genug gingen.
Seine Entscheidung solle dazu beitragen, „das notwendige Bewusstsein bei allen Beteiligten zu schaffen, dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellt - weder im Sinne des Stifters noch im Sinne unseres Landes“, erklärte Lehner weiter.
Die IG Metall zeigte sich bestürzt über den Rückzug des Aufsichtsratschefs. „Das muss jetzt der allerletzte Weckruf dafür sein, dass sich alle Beteiligten disziplinieren“, sagte NRW-Bezirksleiter Knut Giesler der „Rheinischen Post“. Der Konzern komme nicht zur Ruhe, dabei sei Ruhe genau das, was er jetzt so dringend benötige, betonte der Gewerkschafter.
Bereits vergangene Woche hatte Lehner einzelne Investoren scharf kritisiert. Sie hätten viel getan, um den Industriegüterkonzern und Hiesinger zu destabilisieren, bemängelte der Aufsichtsratschef in einem Interview. Einige Aktionäre hätten Wege beschritten, „die teilweise schon als Psychoterror bezeichnet werden können“.
Hiesinger war im Zuge der Fusion der Stahlsparte von Thyssenkrupp mit dem indischen Konkurrenten Tata unter Druck geraten, weil Anteilseigner wie der US-Hedgefonds Elliott oder Cevian mehr Tempo bei dem seit langem angekündigten Umbau des Ruhrkonzerns gefordert hatten. Hiesinger hatte die Fusion des Thyssen-Stahlgeschäfts mit dem Europa-Geschäft von Tata jüngst unter Dach und Fach gebracht. Kurz darauf hatte er noch angekündigt, eine überarbeitete Strategie vorlegen zu wollen.
Betriebsratschef Wilhelm Segerath hatte bei der Neuausrichtung vor einem Ausverkauf auf Druck von Anteilseignern gewarnt. Er sehe die Gefahr, dass der Rest des Konzerns von Finanzinvestoren zerschlagen wird.