Interview Unternehmer Schweitzer: "Der Aufschwung ist nur geborgt"

DIHK-Chef Schweitzer über Flüchtlingsintegration, fehlende Azubis und Defizite der Politik.

Flüchtlinge arbeiten in deutschen Unternehmen - die Politik bemängelt, dass gerade die die großen Dax-Konzerne bislang sehr zurückhaltend seien. (Symbolbild)

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Berlin. Union und SPD sind unzufrieden mit dem Engagement der Wirtschaft für die Integration von Flüchtlingen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) rechnete kürzlich vor, dass die großen DAX-Konzerne bislang gerade einmal 54 Flüchtlinge eingestellt hätten. Im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Vetter erklärt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, woran es hakt und was die Wirtschaft von der Politik erwartet.

F: Herr Schweitzer, die Wirtschaft hat lange nach Migranten gerufen. Kümmert man sich jetzt zu wenig um sie?

A:
Die Integration von Flüchtlingen ist ein langer Weg. Darüber muss sich auch die Politik im Klaren sein. Bis zur vollen Integration eines Flüchtlings in den Arbeitsmarkt dürften in der Regel fünf bis zehn Jahre vergehen. Der DIHK hat dafür zwei große Initiativen gestartet. In den Kammern beschäftigen sich bundesweit rund 170 Mitarbeiter mit der Vernetzung von Unternehmen, Flüchtlingen und der Bundesagentur. Dafür investiert die IHK-Organisation allein in diesem Jahr 20 Millionen Euro. Außerdem haben wir gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium ein Netzwerk gegründet, an dem sich inzwischen über 800 Unternehmen beteiligen.


F: Klingt irgendwie trotzdem wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

A:
Von dem Tag, an dem ein Flüchtling deutschen Boden betritt, bis zu dem Punkt, wo er in der Lage ist, eine Ausbildung oder Einstiegsqualifizierung anzufangen, vergehen nach unserer Erfahrung durchschnittlich zwei Jahre. Kernproblem sind die fehlenden Sprachkenntnisse - und deren Erwerb braucht Zeit. Deshalb gehen auch Vorwürfe ins Leere, die den Betrieben hier zu wenig Engagement unterstellen.

F: Am 1. September beginnt das neue Ausbildungsjahr. Seit geraumer Zeit nimmt die Zahl der unbesetzten Lehrstellen stetig zu. Besorgt Sie das?

A:
Ja. Im letzten Monat waren bei den Unternehmen noch 170.000 Ausbildungsplätze nicht besetzt. Und das bei gleichzeitig nur noch 150.000 Bewerbern. In fast jedem dritten Ausbildungsbetrieb bleiben mittlerweile Lehrstellen unbesetzt. Rund 14.000 haben überhaupt keine Bewerber mehr. Das ist schon dramatisch.

F: Woran liegt das?

A:
Das liegt nicht nur an den sinkenden Schülerzahlen. Zugleich ist die Zahl der jährlichen Studienanfänger in den letzten zehn Jahren um 150.000 gestiegen. Ich denke, hier hat sich ein falsches Bewusstsein über die berufliche Bildung verfestigt. Offenbar sind sich viele junge Leute nicht im Klaren darüber, dass die Gefahr von Arbeitslosigkeit in einer Kombination von Aus- und Weiterbildung in Betrieben sogar geringer ist und man auch mehr verdient, als wenn man bestimmte Studiengänge absolviert hat.

F: Was lässt sich dagegen tun?

A:
Wir haben zu wenig Berufsorientierung an den Gymnasien. Hier setzen wir auf die Allianz für Aus- und Weiterbildung von Bund, Ländern, Wirtschaft und Gewerkschaften. Durch diese Initiative sollen Jugendliche erkennen, dass eine berufliche Ausbildung für sie individuell der bessere Weg sein kann als ein Studium.

F: Andererseits spricht auch die niedrige Jugendarbeitslosigkeit dafür, dass die Wirtschaft in Deutschland brummt. Haben wir mittlerweile eine Art Daueraufschwung?

A:
Nein, keineswegs. Der DIHK geht für 2016 von einem Wachstum von 1,5 Prozent aus. Hätten wir nicht den niedrigen Ölpreis, die niedrigen Zinsen und den schwachen Euro, wären es nur 0,5 Prozent. Das ist ein geborgter Aufschwung. Im Wesentlichen wird er aus dem privaten Konsum gespeist, während der bisherige Erfolgsgarant, nämlich die industrielle Basis, schwächer wird. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

F: Ihr Vorwurf zielt auf die Wirtschaft?

A:
Nein, die Wirtschaft würde gerne mehr investieren. Doch es gibt wesentliche Hemmnisse. Nach unseren Berechnungen müssten Bund, Länder und Gemeinden pro Jahr etwa fünf Milliarden mehr ausgeben, um die Verkehrsinfrastruktur zu modernisieren. Außerdem investiert der Staat viel zu wenig in den Stromnetzausbau und in die Glasfasernetze, obwohl er es könnte. Wenn man sich die öffentlichen Haushalte anschaut, nehmen Bund, Länder und Kommunen in der Summe zwischen 2016 und 2020 fast 400 Milliarden Euro mehr ein.

F: Aber dieses Geld ist doch längst verplant.

A:
Ja, aber dabei werden falsche Prioritäten gesetzt, denn die Investitionsausgaben kommen immer noch zu kurz. Das gleiche gilt für den Steuerbereich. Nach unseren Umfragen über Wachstumshemmnisse sagen Unternehmer, dass die Infrastruktur besser funktionieren müsste, dass das Steuersystem zu komplex ist, und dass die steuerlichen Abschreibungsbedingungen angepasst werden müssten. Würde sich die Bundesregierung darauf konzentrieren, würde das auch die starke industrielle Basis in Deutschland sichern.