Versicherer vor Milliardenschäden
München/Hamburg/Boston (dpa) - Die Versicherungsbranche muss sich nach dem Jahrhundertbeben in Japan auf Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe einstellen. Alleine an Gebäuden dürfte das Beben versicherte Schäden von bis zu 35 Milliarden US-Dollar (25 Mrd Euro) angerichtet haben.
Dies haben die Experten des Risikoanalyse-Unternehmens AIR Worldwide errechnet. Die Folgen des Tsunami, die Schäden an Straßen und die Produktionsausfälle in der Industrie kommen noch hinzu. Die Credit Suisse befürchtet einen volkswirtschaftlichen Schaden von umgerechnet bis zu gut 130 Milliarden Euro. Die Unfälle in den Atomkraftwerken fürchten die Versicherer hingegen nicht: Sie müssen dafür kaum geradestehen.
Das Beben und der folgende Tsunami dürften nach Einschätzung der Ratingagentur Moody's vor allem die weltgrößten Rückversicherer treffen. Deren Aktien setzten ihren Sturzflug am Montag fort. Bis zum frühen Nachmittag verloren die Papiere der Munich Re 3,3 Prozent, die Titel von Swiss Re 4 Prozent und Hannover Rück 2,8 Prozent.
Der Dienstleister AIR Worldwide aus den USA, der Daten und Berechnungen für die Branche liefert, rechnet alleine an Gebäuden mit versicherten Schäden in Höhe von 15 bis 35 Milliarden Dollar. Um die Spanne besser eingrenzen zu können, wartet AIR noch auf wichtige Daten zur Ausbreitung der Erdbebenwellen. Der Hannover Rück zufolge dürften sich 80 Prozent der gesamten Schadenforderungen in diesem Bereich abspielen.
Einschließlich der Ausfälle in der Produktion, einer erhöhten Arbeitslosigkeit und logistischer Probleme wegen beschädigter Straßen und Schienen dürften die negativen Folgen des Erdbebens indes um einiges höher ausfallen. Die Schweizer Großbank Credit Suisse rechnet mit einem volkswirtschaftlichen Schaden von 14 bis 15 Billionen japanischen Yen (123 bis 132 Mrd Euro). Dies wäre immer noch weniger als die Hälfte des Schadens, den das Beben in der japanischen Stadt Kobe 1995 verursacht hatte.
Die drei Rückversicherer sahen sich am Montag zu Prognosen weiterhin nicht in der Lage. Es sei „noch viel zu früh“, um die volkswirtschaftlichen und die versicherten Schäden abschätzen zu können, hieß es von Munich Re. Auch die Mitarbeiter von Swiss Re und Hannover Rück sind noch damit beschäftigt, grundlegende Informationen zusammenzutragen. Durch die jüngsten Nachbeben hat sich die Lage erneut verändert. Laut Munich Re steht jedoch fest, dass ausländische Versicherungsunternehmen nur „einen sehr kleinen Teil“ der Erdbeben-Risiken aus dem japanischen Privatkundengeschäft übernommen haben.
Versicherungsanalyst Christian Muschick von Silvia Quandt Research erwartet, dass die Rückversicherer dennoch tief in die Tasche greifen müssen. Für Munich Re (früher Münchener Rück) rechnet er mit einer Belastung von Milliarde Euro, bei der Swiss Re mit 800 Millionen Dollar (575 Mio Euro). Die Hannover Rück dürfte mit 200 Millionen Euro davonkommen. Die Hannover Rück hat nach eigenen Angaben Teile der übernommenen Risiken an Mitbewerber und den Kapitalmarkt abgegeben.
Weltweit wichtige Erstversicherer wie die deutsche Allianz und die Schweizer Zurich sind laut Moody's von den Folgen des Bebens voraussichtlich weniger betroffen. In der Schaden- und Unfallversicherung beherrschten drei japanische Konzerne nahezu 90 Prozent des Marktes. Europäische Versicherer verfügen laut Moody's in Japan nur über kleine Marktanteile.
Die Unfälle in den Atomkraftwerken dürften die Versicherungsbranche kaum belasten. „Bei der Versicherung von Nuklearanlagen in Japan sind Schäden durch Erdbeben, Tsunamis und durch Erdbeben ausgelöste Brände ausgeschlossen“, erklärt Swiss Re. Dies gelte sowohl für Schäden an der Anlage als auch für die Haftung gegenüber den geschädigten Menschen. Andererseits decke auch die Gebäudeversicherung Schäden durch atomare Strahlung nicht ab.
Die Folgen von Atomunfällen gelten in der Branche als kaum versicherbar. Die Schäden sind kaum zu kalkulieren, die Prämien für eine solche Versicherung würden unermessliche Höhen erreichen. Der „Financial Times Deutschland“ (Montag) zufolge hat der japanische Kraftwerksbetreiber Tepco seit September keine Sachversicherung für seine Kraftwerke mehr gekauft, sondern zahlt Schäden an seinen Werken selbst. Dabei beruft sich die Zeitung auf Angaben aus Rückversicherungskreisen. Den größten Teil des Schadens dürfte dem Bericht zufolge auf die betroffenen Unternehmen und den japanischen Staat entfallen.
In Deutschland, aber auch in anderen Ländern haben sich Versicherer, Rückversicherer und Betreiber der Atomkraftwerke in einem Pool gegen Belastungen aus Störfällen, Unfällen oder einer Katastrophe abgesichert. Kommt es zu einem Zwischenfall, bei dem Dritte geschädigt werden, greift die Haftpflichtversicherung - allerdings zahlt sie lediglich bis zu 256 Millionen Euro. Für den restlichen Betrag müssen die Kraftwerksbetreiber geradestehen, die sich dabei gegenseitig unter die Arme greifen. Erst am Ende kommt der Staat.
Die Abschätzung der Schäden von Erdbeben und anderen Katastrophen stellt die Versicherer immer wieder vor Herausforderungen. Nach den Beben in Chile und Neuseeland 2010 hatte sich die Munich Re wie andere Versicherer zunächst deutlich verkalkuliert. Letztlich fielen die Schäden in Chile für die Münchner mit rund einer Milliarde US-Dollar fast doppelt so hoch aus wie anfangs angekündigt. Für das Beben in Neuseeland musste der Vorstand die Schadenschätzung mehrere Monate später um die Hälfte nach oben korrigieren.