Wall-Street-Pleitefirma gerät in Erklärungsnot
New York (dpa) - Hinweise auf verschwundene hunderte Millionen Dollar bei der Wall-Street-Pleitefirma MF Global haben die Ermittlungsbehörden auf den Plan gerufen. Nach Informationen von US-Medien hat sich mittlerweile auch die Bundespolizei FBI in den Fall eingeschaltet.
Das könnte der erste Schritt hin zu einem ausgewachsenen Kriminalfall sein, schrieb das „Wall Street Journal“ am Mittwoch. Die US-Börsenaufsichtsbehörden SEC und CTFC hatten bereits mitgeteilt, dass sie „Unregelmäßigkeiten“ prüfen.
Der zusammengebrochene Wertpapierhändler MF Global hatte für seine Kunden aus der Finanzindustrie - etwa Hedgefonds - Börsengeschäfte abgewickelt. Die Kundenvermögen müssen dabei aus Sicherheitsgründen stets von dem Vermögen des sogenannten Brokers getrennt werden. MF Global, so die Mutmaßung, hat sich nicht an diese eiserne Regel gehalten. In US-Medien ist von 600 Millionen bis 900 Millionen Dollar die Rede, die auf Kundenkonten fehlen sollen.
Die harmlose Erklärung wäre, dass MF Global schlicht seine Bücher schlampig geführt hat, und dass das Geld in Wahrheit noch da ist. Doch nach dem Bericht des „Wall Street Journal“ hat die Finanzfirma gegenüber den Aufsichtsbehörden inzwischen eingeräumt, dass Geld fehlt. Die Zeitung beruft sich dabei auf einen namentlich nicht genannten Beamten. Unklar sind aber weiterhin die Hintergründe.
Der böse Verdacht ist nun, dass das Management auf das Geld seiner Kunden zurückgegriffen hat, als die Firma immer mehr in Schieflage geriet. MF Global hatte auf eigene Rechnung auf eine rasche Erholung der Eurozone gewettet und europäische Staatsanleihen im Volumen von 6,3 Milliarden Dollar (4,5 Mrd Euro) angehäuft - viel zu viel für eine derart kleine Firma, wie Ratingagenturen befanden. Der Aktienkurs brach ein, MF Global musste am Montagmorgen Insolvenz anmelden, nachdem ein Notverkauf in letzter Minute geplatzt war.
Auch der Chef der Derivatebörse CME, Craig Donohue, berichtete am Dienstag in einer Telefonkonferenz davon, dass MF Global die Regeln für den Umgang mit Kundengeldern verletzt habe. „Wir sind derzeit nicht in der Lage, den genauen Umfang der Verfehlungen zu beziffern“, sagte er. Die CME habe aber eine Untersuchung eingeleitet und arbeite dabei eng mit der zuständigen Aufsichtsbehörde CFTC zusammen.
Ein Anwalt von MF Global wies dagegen jegliche Vorwürfe zurück. „Nach dem besten Wissen des Managements gibt es kein Defizit“, sagte er bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Dienstag vor einem Gericht in Manhattan. Die Diskrepanzen erklärte er damit, dass nach dem Zusammenbruch Geld bei Geschäftspartnern wie zum Beispiel Banken festhänge. Firmenchef Jon Corzine selbst hat sich bislang nicht geäußert.
Bis Klarheit herrscht, könnte es noch einige Zeit dauern, darauf wiesen auch die Aufsichtsbehörden SEC und CTFC hin. MF Global war ein Schwergewicht unter den Wertpapierhändlern und nach eigenen Angaben an mehr als 70 Börsen weltweit vertreten. In der Branche wird nun befürchtet, dass die Kunden das Vertrauen in die Zunft verlieren könnten. Ein großer Teil des Finanzwesens beruht aber gerade darauf, dass sich die Geschäftspartner aufeinander verlassen können.
Ohne Vertrauen versiegt der lebensnotwendige Geldstrom. So war es auch im September 2008, nachdem die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammengebrochen war und damit die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte. Nur staatliches Eingreifen hielt das weltweite Finanzsystem am Laufen.
Die Pleite von MF Global hat das Geschehen an den Finanzmärkten dagegen bislang nicht wesentlich beeinträchtigt. Der Wertpapierhändler ist ungleich kleiner als die damals viertgrößte Investmentbank der Welt und weit weniger mit anderen Finanzfirmen verwoben. Dennoch wird bereits von MF Global als „Mini-Lehman“ gesprochen.