Wirtschaftsexperte Paul J. J. Welfens: „Im Herbst spitzt sich die Krise wieder zu“
Die Probleme in Europa sind nicht gelöst, sagt Wirtschaftsexperte Paul J. J. Welfens.
Düsseldorf. Haben die Beschlüsse des EU-Gipfels die Euro-Schuldenkrise einer Lösung näher gebracht?
Welfens: Nein. Spätestens im Herbst wird sich die Krise wieder zuspitzen.
Können Sie verstehen, dass es in den Koalitionsfraktionen grummelt?
Welfens: Die Kanzlerin hat sich mit ihrer Verhandlungsstrategie offensichtlich in Schwierigkeiten gebracht. Nach zweieinhalb Jahren Krisenbekämpfung zeigt sich, dass die bisherige Herangehensweise nicht sinnvoll war.
Wie kann die EU jetzt noch das Steuer herumreißen?
Welfens: Wir müssen erstens zum Kern und Auslöser der Krise vorstoßen, nämlich Griechenland. Die dortigen Probleme müssen nachvollziehbar überwunden werden. Und dann müssen wir das größere Thema Eurobonds angehen.
Wie stehen in Griechenland die Chancen für eine Lösung mit der neuen Regierung?
Welfens: Die Lage Griechenlands ist weiter supergefährlich für die anderen Euro-Länder und unterhöhlt das Vertrauen der Finanzmärkte. Es ist enttäuschend, dass der EU-Gipfel nur ein allgemeines Wachstumspaket beschlossen hat, statt auch einen Marshallplan für Griechenland zu verankern. Das Land braucht dringend einen Privatisierungsplan. Ich werbe für eine internationale Privatisierungsbehörde unter Beteiligung der Osteuropabank, die zu einem Festbetrag griechisches Staatsvermögen kaufen sollte. Löst man die Probleme in dem kleinen Griechenland nicht, wie sollen die Märkte dann der Euro-Zone abnehmen, dass sie Portugal und Spanien aus der Krise holt?
Der ESM soll künftig auch direkt Geld an notleidende Banken vergeben können. Besteht die Gefahr, dass die betroffenen Euro-Länder sich dann um notwendige Reformen herummogeln können?
Welfens: Es soll eine neue europäische Bankenaufsicht geben, deren institutionelle Ausgestaltung völlig unklar ist. Und ja, die Euro-Zone hat massiv an Reputation verloren. Insofern ist es unbefriedigend, wenn nach so einem Gipfel nur schwammige Beschlüsse vorliegen. Es ist kein Wunder, wenn dann an den Finanzmärkten weiter das Misstrauen vorherrscht und die Zinsen für Staatsanleihen nicht so sinken wie erhofft.