Der Streit um das Designer Outlet Center (DOC) in Remscheid-Lennep und das Factory Outlet Center (FOC) in Wuppertal-Elberfeld beherrscht die Debatte. Mit der bergischen Zusammenarbeit scheint es nicht weit her zu sein, oder?
„Zusammenhalt der Wirtschaft in der Bergischen Region ist gefährdet“
Interview Ralf Engel und Klaus Kreutzer vom Handelsverband über Streit in der Region und die Zukunft der Branche.
Klaus Kreutzer: Wir sind weiter entfernt von Zusammenarbeit, als ich das jemals gesehen habe. Das hängt auch mit Entwicklungen im selbst ernannten Oberzentrum Wuppertal zusammen. Neid ist schon immer ein schlechter Berater gewesen. Momentan ist Wuppertal neidisch auf die Entwicklungen in Remscheid. Das ist betrüblich, denn wir sind als Region ein Wirtschaftsstandort, und wir sollten als einer gesehen werden. Den Zusammenhalt der Bergischen Wirtschaft sehe ich stark gefährdet.
Können Sie das Wort Outlet überhaupt noch hören?
Ralf Engel: Es ist eine Betriebsform, die nach wie vor angesagt ist. So viele Menschen aus dem Bergischen Land fahren nach Roermond, nicht nur am Wochenende. Das zeigt, dass das Angebot wahrgenommen wird – ob man das mag oder nicht. Wir haben als Verband mit dieser Betriebsform immer unsere Probleme gehabt, aber unsere eigenen Mitglieder aus dem Textilbereich sagen, dass die Industrie diese Outlets braucht, um Überkapazitäten abzubauen.
Und was bedeutet das für das Bergische?
Engel: Der Punkt ist: Der stationäre Einzelhandel in Kombination mit dem Onlinehandel ist als drittgrößter Wirtschaftszweig auch ein wichtiger Faktor für die Industrie. Attraktive Einkaufsmöglichkeiten – und da gehört ein DOC dazu – sind ein Standortvorteil. Wer das nicht begreift, der versündigt sich an den mittelständischen Strukturen. Wir haben hier viel Mittelstand, und wir sind durch alle Wirtschaftskrisen gut durchgekommen. Das gefährden wir, wenn es uns nicht gelingt, dass die Firmen Fachkräfte akquirieren können. Und dazu gehören ein gutes Wohnumfeld und Handel.
Kreutzer: Einzelhandel ist ein wesentlicher Faktor für die Aufenthaltsqualität in den Städten. Nur für Kino oder Kneipe kommen die Menschen nicht. Deshalb hat der Einzelhandel trotz der – in Anführungszeichen – Konkurrenz des Internets eine bedeutende Daseinsberechtigung.
Wieso Konkurrenz in Anführungszeichen?
Kreutzer: Wir Deutschen sind völlig anders gepolt als etwa die Franzosen. Wenn der Franzose seinen kleinen Krämerladen verliert, kippt er Mist vor das Ministerium und dokumentiert so seinen Unmut. Da sind wir viel geruhsamer und vielleicht auch lethargischer. Bis 2030 werden 25 000 bis 30 000 Einzelhändler verschwunden sein, sagt zumindest NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart. Das hat aber nicht nur etwas damit zu tun, dass wir massiven Online-Handel haben, sondern auch damit, dass viele Händler, die ihre Geschäfte nach dem Krieg aufgebaut haben, keine Nachfolger finden. Da sind objektive Schwierigkeiten da, die gelöst werden müssen. Denn wenn der Handel weg ist, werden alle jammern, auch wenn sie vorher nicht protestiert haben.
Fachkräftemangel ist also auch bei Ihnen ein Problem?
Kreutzer: Insbesondere der spezialisierte Facheinzelhandel hat enorme Schwierigkeiten.
Weil manche an der Zukunft zweifeln?
Engel: Die Frage ist, wie wir die Digitalisierung in Zukunft analog erden müssen. Ich weiß nicht, ob der Hype so ungebremst weitergeht. Vor 40 Jahren dachten wir, die Atomenergie löst unsere Energieprobleme. Davon spricht heute niemand mehr. Wir dürfen unsere analoge Welt nicht aus den Augen verlieren. Das Motto muss sein: Analog ist das neue Bio. Selbst Amazon geht teils in den stationären Handel. Deshalb glaube ich daran, dass es auch in Zukunft analoge Angebote geben wird. Es gibt Konzepte etablierter Firmen, wieder stärker Angebote in Innenstädten zu machen. Die Leerstände in Solingen und Remscheid haben wir natürlich. Aber die Städte denken immerhin intensiv darüber nach, wie man das ändern kann. Da sind Solingen und Remscheid im Vergleich zu Wuppertal ganz weit vorne.
Was machen Solingen und Remscheid besser? Die Zahl der Leerstände sinkt ja nicht.
Engel: Es ist eine einfache Überlegung: Wir verabschieden uns davon, dass an früheren Handelsstandorten wieder Einzelhandel einzieht. Wir denken über Wohnnutzung nach, wir denken über Umgestaltung der Innenhöfe nach, über die Kombination aus Wohnen, Dienstleistung und Handel. Dann können sie als Stadtentwickler über neue Konzepte nachdenken. Wer der Meinung ist, bei Appelrath-Cüpper in Solingen oder Sinn-Leffers in Remscheid müsste um jeden Preis wieder Einzelhandel einziehen, der hat verloren.
Kreutzer: Mir fehlt da aber das Maß des Notwendigen bei der politischen Entscheidung. Wir hängen immer hinterher. Für die Zukunft, für Dinge wie Elektromobilität und technische Tendenzen, fehlt mir in Politik und Verwaltung oft der Weitblick. Wir packen zum Beispiel unsere Städte voller Schadstoffe, weil immer mehr Paketdienste Waren an der Haustüre verteilen. Das geht auch völlig anders! Die Konzepte haben wir lange. Warum zum Beispiel liefern Paketdienste nicht in ein Zentrum vor der Stadt? Und dann gibt es eine individuelle Verteilung mit Lastenfahrrädern. Damit haben wir mehr Aufenthalts- und Lebensqualität. Die Politik muss ihren Horizont erweitern – und handeln.
Sie hatten erwähnt, dass Handel ein zentraler Wohlfühlfaktor für das Leben in einer Stadt ist. Aber müssen nicht erst die Städte attraktiver, lebenswerter werden?
Kreutzer: Handel kann ohne Stadt, aber Stadt kann nicht ohne Handel. Deshalb muss die Stadt Bedingungen schaffen. Versorgungsbereiche müssen so gestaltet sein, dass sie einzelhandelsfreundlich sind. Es muss Bereiche geben, in denen Menschen gern leben und einkaufen. Ralf Engel und ich scheuen keine Auseinandersetzung. Aber was glauben Sie, wie hart sie auf den Tisch hauen müssen, um in Politik und Verwaltung Gehör zu finden?
Quartiersmanagement, Fördertöpfe, Stadtentwicklungs-Programme: Bringt das was oder bekämpft das nur Symptome?
Engel: Es gibt zig Ideen, wie sich Innenstädte neu erfinden können. Stichworte: Urbane Produktion, E-Mobilität, autonome Busse. Das soll Menschen für ihre Innenstadt begeistern, denn Innenstadt ist auch Kommunikation. Wenn es nicht gelingt, dass Menschen wieder real miteinander kommunizieren, sondern nur virtuell, dann kann ich in eine Innenstadt packen, was ich will: Ich werde die Leute nicht begeistern. Das ist letztlich auch eine Bildungsaufgabe. Und es ist die Idee von urbaner Produktion: Menschen treffen sich, lernen, erfahren, was es in der Stadt für Angebote gibt – vom Start-up über Gastronomie hin zum Handel. Davon verspreche ich mir einiges. Aber da müssen dicke Bretter gebohrt werden.