Wunsch und Wirklichkeit Autowelt sucht Weg in die Zukunft
Las Vegas (dpa/tmn) - 600 PS, sticht! 330 km/h, sticht! Von 0 auf 100 in 4,9 Sekunden, sticht! Das gute alte Autoquartett hat ausgedient — zumindest auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas (bis 8. Januar).
Zwar nehmen Autos auf der früher klassischer Elektronik vorbehaltenen Messe immer größeren Raum ein. Doch außer dem Start-up Faraday Future, das den herbeigesehnten Aufbruch in eine neue Ära noch mit alten Werten befeuert, interessiert sich für die üblichen Steckbriefe mit Leistung, Spitzentempo und Beschleunigung keiner mehr. Die Autowelt diskutiert hier über Rechner, Daten und Displays.
Was man als Freude am Fahren empfinde, das habe zunehmend weniger mit dem Antrieb als mit der Ausstattung zu tun, sagt BMW-Marketing-Chefin Hildegard Wortmann und lenkt den Blick auf ein Ausstellungsstück, das überhaupt keinen Motor mehr hat: Mit einer sogenannten Sitzkiste illustrieren die Bayern nicht nur das Format ihres nächsten i-Modells, das für 2021 avisiert ist. Vor allem zeigen sie, wie Innenraum und Bedienkonzept des autonomen Fahrzeugs aussehen könnte.
Weil Fahren da eher zur Nebensache wird, verschwinden neben den Instrumenten auch die Knöpfe. Stattdessen gibt es vielseitig nutzbare Displays im Blickfeld, und zwischen den Sitzen eine holografische Projektion, auf der virtuelle Tasten zum Antippen in der Luft erscheinen. Und damit man eine zuverlässige Rückmeldung bekommt, kitzeln dabei Ultraschallwellen an den Fingerkuppen. „Das ist noch ein Forschungsprojekt, könnte aber in einer Fahrzeuggeneration in Serie gehen“, sagt BMW-Sprecher Cypselus von Frankenberg.
Auch bei VW kann man die Anzeige- und Bedientechnologie der Zukunft sehen. Die Niedersachsen experimentieren in Las Vegas zur besseren Übersicht mit 3D-Grafiken hinter dem Lenkrad und nutzen eine Blicksteuerung: Bestimmte Informationen werden nur dann eingeblendet, wenn der Fahrer auch in die entsprechende Richtung schaut.
Und bei Zulieferern wie Bosch, Continental oder Panasonic fallen viele Schalter weg, weil die Sensoren die Biometrie des Fahrers erfassen und Sitze, Spiegel oder Display automatisch einstellen. Toyota geht den Weg zur vereinfachten Bedienung per digitalem Assistenten: Er arbeitet in der Messestudie der Japaner auf Zuruf.
Wie man Infotainment-Inhalte im Auto nutzt, wie und wo man sitzt und wie man sich dabei fühlt, das wird in Zukunft immer wichtiger, sagen die Experten auf der CES. Denn nach einhelliger Meinung wird der Mensch dort mit klassischen Fahraufgaben immer weniger zu tun haben - die übernimmt schon bald der Autopilot. Und wer daran zweifelt, den schicken die Aussteller bereitwillig auf autonome Testfahrten, die mitten im normalen Verkehr rund ums Messegelände führen.
Zwar räumen sie alle ein, dass es noch etwas Zeit braucht, bis Assistenten und Autopiloten den Fahrer vollends zum Passagier machen. Doch was ihnen dazu fehlt, haben Wissenschaftler und Industrie identifiziert und in Angriff genommen: extrem detaillierte Digitalkarten, die sich selbst aktualisieren, und die künstliche Intelligenz, die sich darin zurechtfindet.
Neben dem autonomen Fahren und den neuen Bediensystemen bestimmt in Las Vegas vor allem Vernetzung die Agenda. „Das Auto ist ein zentraler Knotenpunkt im sogenannten Internet der Dinge“, sagt Daimler-Entwicklungschef Olla Källenius. Es kommunziert deshalb nicht nur mit anderen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur, sondern mit allem und jedem und wird so Teil der digitalen Lebenswelt.
Auch die Kontrolle des Smart Homes vom Steuer aus steht im Fokus. Nicht umsonst demonstriert VW auf der Messe, wie man unterwegs per digitalem Assistenten den Einkaufszettel durchgeht oder im Büro die Heizung ausschaltet. Und in der Sitzkiste von Bosch warnt das Auto-Display vor offenen Fenstern daheim, wenn ein Gewitter aufzieht.
Wie weit Auto-Vernetzung und die Verschmelzung von Lebenswelten gehen kann, zeigt in Las Vegas Hyundai besonders eindrücklich: Denn während VW, Mercedes oder Toyota und die Zulieferer ihre Fahrzeuge nur elektronisch mit der Außenwelt koppeln, wachsen Haus und Auto bei den Koreanern auch physisch zusammen: Der Wagen wird zum Wohnzimmer, der Fahrersitz zum Fernsehsessel - und umgekehrt.