Boom des Bodenständigen auf dem Genfer Salon

Genf (dpa/tmn) - Supersportwagen, PS-Monster, grüne Träume und exklusive Einzelstücke: Klar, die gehören zum Genfer Salon. Doch den Ton geben in diesem Jahr greifbare Visionen und bodenständige Neuheiten an.

Die Autohersteller demonstrieren Realismus, nicht Kraftmeierei.

Gerade einmal 3,99 Meter lang und 85 kW/115 PS stark, nur 140 km/h schnell und am Ende wahrscheinlich für weniger als 20 000 Euro zu haben: Das sind normalerweise nicht die besten Voraussetzungen, um Aufmerksamkeit bei einer Automesse zu erregen. Doch mit diesen Eckdaten hat es der Entwurf für den neuen VW Bulli zum Hingucker des Genfer Salons (noch bis 13. März) geschafft.

Denn dort ticken die Uhren in diesem Jahr ein wenig anders als sonst: Obwohl die PS-Branche die Krise für beendet erklärt hat, sind es nicht die wirklichkeitsfernen Visionen wie der Bertone-Entwurf für einen neuen Jaguar oder die Supersportwagen wie der Ferrari FF, die den Ton angeben. Vielmehr boomt das Bodenständige: Im Rampenlicht stehen vor allem Autos, die vergleichsweise bezahlbar sind und spätestens in den kommenden zwei, drei Jahren in den Handel kommen.

Selbst für den Bulli - offiziell eine Studie - verspricht Entwicklungschef Ulrich Hackenberg: „An diesem Auto werden wir in den nächsten Jahren noch viel Freude haben.“ Der Preis soll unterhalb des VW Touran liegen.

Auch viele andere Neuheiten aus Deutschland fallen diesmal nicht in die Kategorie „Schnell und teuer“. So dreht sich bei Mercedes alles um das neue Coupé der C-Klasse, Opel gewährt den ersten Blick auf den nächsten Zafira, Ford stößt mit dem B-Max ins Feld der bezahlbaren Familienvans vor, und Audi will mit einer Studie Lust auf den nächsten A3 machen. Immerhin hat dieses Schaustück aber einen Motor mit 300 kW/408 PS und erinnert so ein wenig an die alte Zeit des PS-Wettrüstens.

Auch die Importeure bemühen sich um Bodenhaftung: Bei Kia stehen die Kleinwagen Picanto und Rio, bei Toyota ein Prius als Van und bei Mazda mit dem Minagi der seriennahe Ausblick auf den nächsten CX-5. Sogar die Sportwagen werden handlich und bezahlbar: Der Alfa 4c - mit Karbonkarosse keine 850 Kilogramm schwer und rund 184 kW/250 PS stark - soll für „nur“ 45 000 Euro im Jahr 2012 in Serie gehen. Und auch für den Toyota FT-86, der so langsam zum Nachfolger des Celica reift, wird niemand seinen Aktienfonds auflösen, heißt es am Toyota-Stand.

Dass es auch anders geht, zeigen die Exoten: In Handarbeit hergestellte Supersportwagen wie der Pagani Huayra oder der Koenigsegg Agera mit Preisen weit jenseits der Millionen-Euro-Marke lassen selbst den gut 300 000 Euro teuren Lamborghini Aventador beinahe wie ein Schnäppchen erscheinen.

Was für die Serienneuheiten gilt, trifft in Genf auch auf die Studien mit alternativen Antrieben zu: „Grün ist greifbar geworden“, sagen Marktbeobachter wie Nick Margetts von Jato Dynamics. „In Genf sieht man keine Träumereien für die ferne Zukunft, sondern vor allem Autos, die ihre Serienreife bereits erreicht haben oder kurz davor stehen.“ Der Smart Forspeed zum Beispiel nutzt nach Angaben des Herstellers denselben Elektroantrieb, den die Schwaben im kommenden Jahr im konventionellen Smart in Serie bringen. Den E-Motor aus dem VW Bulli kennen Autofans bereits aus dem Flottenversuch mit dem Golf, und den Plug-In-Hybrid aus ihrer Studie IBX erprobt die spanische VW-Tochter bereits in Prototypen des Leon.

Hybrid- oder Elektroautos wie der Fisker Karma oder das Modell S von Tesla, die auf den jüngsten Messen noch als Studien standen, haben ihre Serienfreigabe erhalten. Allerdings ist der große Hype um den Elektroantrieb ein wenig abgeflacht: Renault zum Beispiel, nach der Zielvorgabe von Konzernchef Carlos Ghosn auf dem Weg zum elektrischen Weltmarktführer, montiert in seine Designstudie Captur zum Beispiel keinen Elektromotor, sondern einen sparsamen Diesel.

Zwar wird das Autogeschäft von Konzernen bestimmt, die zu den größten der Welt zählen. Doch in Genf mischen sich unter diese Riesen traditionell Kleinserienhersteller, die fernab jeder Kostenkontrolle ihr Glück mit unkonventionellen Eigenkreationen versuchen. So feiert in diesem Jahr die italienische Traditionsmarke De Tomaso mit einem unkonventionellen Gran Turismo im Stil des BMW Fünfer GT ihr Comeback. Rinspeed aus der Schweiz überrascht mit einem luftigen Elektrokleinwagen im Stil des Citroen Mehari. Und der Tuner Carlson versucht sein Glück erstmals mit einem eigenen Sportwagen, der als C25 kaum eine Nähe zum Mercedes SL hat, von dem er abgeleitet wurde.