Datenschützer sehen Modetrend „Dashcam“ mit Sorge
Ansbach (dpa) - Anders als in Russland sind Dashcams in deutschen Autos noch selten. Datenschützer schlagen trotzdem schon mal Alarm. Sie befürchten künftig eine Flut von Unfallvideos im Internet - mit Menschen, deren Schicksal damit weltweit zur Schau gestellt wird.
Sie gehören zu den am meisten angeklickten Seiten auf dem Videokanal Youtube. Hochgeladene Filme zeigen dort umstürzende Lastwagen, Frontalzusammenstöße, sich überschlagende Autos, Raubüberfälle und prügelnde Autofahrer - dramatische Szenen auf Russlands Straßen. Viele der realen Unfälle übertreffen nachgestellte Actionszenen in Roadmovies an Dramatik bei weitem - schon weil sie den Betrachter scheinbar zum direkten Unfallbeteiligten machen.
Allein den knapp dreiminütigen Videozusammenschnitt „The Russian Dash-cam Supercut“ auf Youtube haben mehr als 2,1 Millionen Internetnutzer abgespielt. Andere Zusammenschnitte bringen es sogar auf 2,6 Millionen Klicks. Monat für Monat versorgen findige Sammler der zittrigen Unfallfilmchen sensationsgierige User mit Nachschub.
Zu verdanken haben die Internetnutzer die Bilder dem Trend zu sogenannten On-Board-Kameras oder Dashcams, die vor allem bei russischen Autofahrern seit Jahren beliebt sind. Millionen von Unfall-Kameras sind inzwischen in russischen Autos installiert - zum Schutz vor Verkehrsrüpeln, aber auch vor Betrügern, die mit provozierten Unfällen Kasse machen wollen.
Inzwischen entdecken auch immer mehr deutsche Autofahrer die Mini-Kameras, die sich je nach Ausführung hinter die Windschutzscheibe oder an den Innenraum-Rückspiegel klemmen lassen. Zwar ist der Markt nach Angaben der Gesellschaft für Unterhaltungselektronik (gfu) noch klein. „Davon werden im Moment noch so wenige verkauft, dass wir sie nicht getrennt erfassen“, berichtet gfu-Sprecher Roland Stehle.
Aber seit im vergangenen Jahr Dashcam-Bilder von einem über dem russischen Tscheljabinsk niedergehenden Kometen um die Welt gingen, steigt das Interesse an den Autokameras auch in Deutschland. Was viele Autofahrer fasziniert: Während der Fahrt filmen sie lückenlos das Verkehrsgeschehen. Damit taugen sie - so die weit verbreitete Meinung - auch als Beweismittel bei einem Verkehrsunfall.
Allerdings haben zumindest Autofahrer in Deutschland die Rechnung ohne die Datenschützer gemacht. Diese beobachten den Trend mancher Bundesbürger, ständig jedes und alles, am liebsten das ganze eigene Leben, auf einem Video festzuhalten, schon länger mit Sorge.
Was sie von den Windschutzscheiben-Kameras halten, die auf einem 32- oder 64-Gigabyte-Chip in einer Art Endlosschleife Autofahrten lückenlos dokumentieren, machten sie in einem Beschluss Ende Februar klar. Der „Düsseldorfer Kreis“ - ein Zusammenschluss von Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im öffentlichen Bereich - erklärte den Einsatz von Dashcams schlicht für „datenschutzrechtlich unzulässig“.
Die Einigkeit der deutschen Datenschützer in der Frage kommt aber keineswegs einem Verbot von Dashcam-Aufnahmen gleich. Denn bislang gibt es dazu weder rechtliche Bestimmungen im Datenschutzgesetz noch eine Rechtsprechung. Den Anfang machte allerdings das Verwaltungsgericht Ansbach, das über die Klage eines Autofahrers gegen ein behördliches Verbot von Dashcam-Einsätzen zu entscheiden hatte.
In seiner Entscheidung zeigte die 4. Kammer großes Verständnis für die Einschätzung der bayerischen Datenschützer. Und auch wenn die Datenschutzfrage womöglich noch andere Gerichte beschäftigen wird, so gaben die Richter doch einige Winke. So machten sie deutlich, dass in ihren Augen das Recht von Passanten und Autofahrern, nicht heimlich gefilmt zu werden und so später unfreiwillig auf Youtube zu landen, ausgesprochen hoch zu bewerten sei.
Auch der Hinweis des klagenden Autofahrers, auf seinen Videos seien weder Nummernschilder noch Menschen richtig zu erkennen, beurteilte das Gericht nach Betrachtung der Filmschnipsel entschieden anders. Um einen Menschen identifizieren zu können, brauche man nicht unbedingt dessen Gesichtszüge zu sehen. „Man kann die Identität eines Menschen auch an seinem Körperbild, seiner Kleidung oder dem Zeitpunkt der Aufnahme mit Bestimmtheit herstellen“, wie es ein Kammermitglied formulierte.