Edles Emblem: Die Kühlerfigur wird 100
Goodwood (dpa/tmn) - Mit gebückter Haltung im Fahrtwind: Seit 100 Jahren verziert Rolls-Royce seine Fahrzeuge mit der „Spirit of Ecstasy“. Andere Hersteller verzichten längst auf Kühlerfiguren - vor allem wegen des Fußgängerschutzes.
„Spirit of Ecstasy“ heißt sie - Geist der Ekstase. Was ein wenig verrucht klingt, ist in Wirklichkeit der Name der ersten serienmäßigen Kühlerfigur. Vor 100 Jahren, am 6. Februar 1911, montierte Rolls-Royce sie auf der Motorhaube. Der britische Hersteller löste einen wahren Trend aus, als er das kleine Werk des Bildhauers Charles Sykes präsentierte. Während Rolls-Royce seine Fahrzeuge bis heute mit Kühlerfiguren schmückt und den Namen des historischen Vorbilds beibehielt, sind die Embleme im Wind ansonsten längst wieder aus der Mode - aus Sicherheitserwägungen.
„Jede Marke, die etwas auf sich hielt, hat ihre Fahrzeuge mit Kühlerfiguren ausgestattet“, sagt Ruth Schumacher. Die Stuttgarterin nimmt für sich in Anspruch, eine der größten Sammlungen von Markenzeichen und Kühlerfiguren zusammengetragen zu haben. Eine Auswahl ist noch bis 31. März im „Auto & Technik Museum“ in Sinsheim in Baden-Württemberg zu bestaunen.
Für Erstaunen bei den Besuchern dürfte vor allem die Erkenntnis sorgen, welche Fantasie die Hersteller bei der Verzierung der Fahrzeugspitze entwickelten. Indianerhäuptlinge, Götter, wohlproportionierte Damen, Mickey Mouse und vor allem das Tierreich inspirierte die Unternehmen. „Dem Einfallsreichtum waren keine Grenzen gesetzt“, sagt Schumacher: Schwäne, Pferde, Adler und Hasen hat sie schon auf den Hauben gesehen. Daneben erscheint „Spirit of Ecstasy“ mit der im Fahrtwind wallenden Robe fast schon gewöhnlich.
Auch bei der Materialauswahl gab sich die Industrie viele Jahre flexibel. Die Figuren wurden aus Metall, aber auch aus Porzellan oder Bleikristall gefertigt. Rolls-Royce experimentierte nicht. „Die rund ein halbes Pfund schwere Skulptur, die binnen 14 Tagen komplett in Handarbeit gegossen wird, gibt es ausschließlich in Edelstahl, aus Silber oder vergoldet“, sagt Pressesprecher Frank Tiemann. Auch ohne Auto könne sie erworben werden. Zum Preis von knapp 1600 Euro (1350 Pfund) kann „Spirit of Ecstasy“ aus dem Fahrtwind treten und als Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch landen.
Rolls-Royce war der erste Hersteller, der seine Fahrzeuge serienmäßig mit einer Kühlerfigur ausstattete. Doch gänzlich neu war die Idee 1911 nicht: „Davor haben sich viele Adlige von Kunsthandwerkern, Juwelieren und Goldschmieden ganz individuelle Skulpturen entwerfen lassen.“ Schumacher hat über Kühlerfiguren und Markenzeichen den Bildband „Kunstwerke aus Chrom“ veröffentlicht. Darin ist zu lesen, dass sich bereits 1899 der englische Lord Montagu of Beaulieu als Motorhauben-Schutzpatron einen Christopherus für seinen Daimler anfertigen ließ. Eigentlich er müsse damit als Erfinder der Kühlerfigur gelten.
Bis weit in die Nachkriegszeit waren Kühlerfiguren verbreitet. Cadillac oder Bentley montierten sie. Auch vergleichsweise bürgerliche Fahrzeuge wie von Opel oder Ford ließen ihr Wappen in den Wind ragen. Heute jedoch sind sie nahezu vollständig aus dem Straßenbild verschwunden. Ein Grund: „Sie erhöhen den Luftwiderstand und damit den Verbrauch“, erklärt ein Mercedes-Entwickler ihr Aussterben. Vor allem aber stünden sie dem Schutz von Fußgängern entgegen.
Groß ist der Aufwand für den, der dennoch auf die umwehten Skulpturen nicht verzichten will. Neben den Briten montieren sie etwa Mercedes und Maybach. Der Mercedes-Stern ist nach Angaben der Presseabteilung in Stuttgart wie das Maybach-M so gelagert, dass er sich bei der geringsten Berührung umlegt, um einen möglichen Unfallgegner nicht zu verletzen. Theatralischer funktioniert der Mechanismus der „Spirit of Ecstasy“. Auf Knopfdruck verschwindet sie in der Versenkung. Nicht nur Fußgänger sind bei einem Unfall so besser geschützt. Das gilt auch für die fälschlicherweise oft als „Lady Emily“ bezeichnete Statue selbst - nämlich vor Dieben und Vandalen.
Gerade weil sich Kühlerfiguren allgemein rarmachen, hat Ruth Schumacher nicht als einzige das Sammelfieber gepackt. Das begehrteste Stück der Szene ist allerdings nicht die Schönheit von Rolls-Royce, sondern ein aufgerichteter Elefant. Ihn hat der Bildhauer Rembrand Bugatti als ironische Antwort auf die „Spirit of Ecstasy“ für den legendären Bugatti Royale entworfen. Nur sechs Originale existieren der Sammlerin zufolge. Für bis zu 50 000 Euro werde die „Blaue Mauritius“ unter den Kühlerfiguren heute gehandelt.
Dass Autos heute fast ausschließlich ohne diese plastischen Markenzeichen auskommen, bedauern vor allem Sammler. Sie fürchten um Nachschub für ihre Kollektionen. Ruth Schumacher findet aber auch, dass den Autos ein Stück ihrer Identität verloren gegangen ist: „Im Windkanal glatt geschliffen, sehen die Fahrzeuge von heute doch ohne Markenzeichen und Kühlerfigur alle gleich aus.“