IAA 2015: Autobranche kämpft um ihr Kerngeschäft
Frankfurt/Main (dpa) - Riesige Hallen, glänzende Konzeptautos im Rampenlicht - rein äußerlich könnte es eine IAA wie jede andere sein. Doch die weltgrößte Automesse (Publikumstage: 17. bis 27. September) fällt in die Ära der Vernetzung, die ihr Geschäft für immer verändert.
Im Angesicht der neuen Rivalen aus dem Silicon Valley, die wie Google - und vielleicht auch Apple - eigene Fahrzeuge entwickeln, sind die Autobauer bemüht, keine Schwäche zu zeigen.
Es ist das übliche IAA-Ritual: Präsentationen im Viertelstunden-Takt zu dramatischer Musik wie im Hollywood-Blockbuster. Die PS-Parade. Der Appell an Gefühle, Ästhetik und Fahrfreude, mit dem ein Auto mehr sein soll als nur ein Gegenstand aus Blech, Kunststoff und Glas. „Ist sie nicht schön?“, ruft Rolls-Royce-Chef Torsten Müller-Ötvös aus, nachdem der Vorhang vom Luxus-Cabrio Dawn (Morgenröte) fällt. Preis: Mehrere hunderttausend Euro. Jaguar ließ am Vorabend einen Wagen einen Looping fahren - wie auf einer Carrera-Bahn, nur in echt.
Auch die Konkurrenten setzen wie eh und je auf Kraft und Geschwindigkeit: Ferrari präsentiert mit dem 488 Spider das „leistungsstärkste V8-Cabrio von Ferrari aller Zeiten“ mit satten 670 PS, während Bentley-Chef Wolfgang Dürheimer im neuen Bentayga das „schnellste, kräftigste und exklusivste SUV der Welt“ sieht.
Doch hinter Scheinwerferlicht und Protz stehen auf der IAA viele existenzielle Fragen im Raum, auf die heute keiner eine Antwort geben kann. Werden die Leute in Zukunft Wert darauflegen, Autos zu kaufen? Oder ist die Zukunft ein unscheinbares und austauschbares Google-Mobil, das bei Bedarf fahrerlos vor der Tür steht und danach verschwindet, ohne dass man sich groß darüber Gedanken macht?
Nur wenige hundert Meter vom Rolls-Royce-Luxus entfernt sagt Toyota-Manager Karl Schlicht: „Wir bereiten uns auch auf eine Zukunft vor, in der wir eher Mobilität statt Autos verkaufen könnten.“ Der Trend, dass der Autobesitz vor allem jüngeren Leuten weniger wichtig werde, sei da.
Auch Daimler und BMW stellen sich mit Carsharing darauf ein. Und Studien besagen, dass mit selbstfahrenden Autos deutlich weniger Fahrzeuge gebraucht werden könnten. Zugleich glaubt der erfahrende Automann Schlicht nicht, dass der Fahrzeugkauf ganz zum Auslaufmodell wird oder die Branche im Einheitsbrei versinkt: „Das Design wird weiterhin eine entscheidende Rolle spielen.“
Die Branche will auch demonstrieren: Das, was Google und Co im Auto können, kann sie schon lange. So versprach Daimler-Chef Dieter Zetsche, den Wettbewerb auf das Spielfeld des Internet-Riesen zu tragen. Neue Dienste durch Daten-Auswertung. Ein Auto, das selbst zum Arzt fährt, wenn das für den Besitzer nötig ist. Oder Klima und Musik an seine aktuelle Verfassung anpasst. Oder als selbstfahrendes Carsharing-Fahrzeug von sich aus vor der Tür steht, wenn es der Terminkalender verlangt. Zetsches unverblümter Seitenhieb gegen Google: „Kunden bezahlen unsere Produkte mit Geld, nicht mit persönlichen Daten. Anders als manche IT-Unternehmen sind wir deshalb nicht darauf angewiesen, aus den Daten Profit zu schlagen.“
Bei Opel äußert man sich etwas zurückhaltender über die neuen Player aus dem Silicon Valley - man weiß ja nie, wessen Hilfe man noch braucht. „Die Welt verändert sich und wir wollen vorne mit dabei sein. Aber wir brauchen Partner, um das zu erreichen“, sagt Firmenlenker Karl-Thomas Neumann.
Dass sich das Auto in den kommenden Jahren grundlegend verändern wird, gilt in den Messehallen aber als sicher. In der Vision des IAA-Veranstalters VDA wird das intelligente, vernetzte Auto schon bald mit seiner Umwelt und anderen Verkehrsteilnehmern kommunizieren: „Es kann selbstständig einparken, warnt frühzeitig vor Verkehrshindernissen, verhindert Unfälle.“
Selbst Reifen oder Autoschlüssel werden „intelligent“: „In Zukunft werden wir in die Reifen Sensoren einbauen, mit denen das Fahrzeug die Beschaffenheit der Fahrbahn unmittelbar ertasten kann“, verspricht Conti-Vorstandschef Elmar Degenhart. Und der Chip-Spezialist NXP will einen Autoschlüssel etablieren, der über mehrere hundert Meter hinweg Informationen wie die Tankfüllung abfragen kann, oder ob die Fenster und Türen geschlossen sind.
Tatsächlich rollt das Auto der Zukunft schon bald über die Straßen. „In den kommenden fünf Jahren wird es mehr Veränderungen geben als in den vergangenen 50“, ist GM-Chefin Mary Barra überzeugt. Auch für Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler steht dabei fest, dass Autos, die keinen Fahrer mehr brauchen, die Straßen erobern werden. Schon 2025 könne das für mehr als ein Viertel aller Neuwagen gelten: „Je mehr selbstfahrende Autos im Straßenbild sichtbar sind, desto mehr wird diese Technik nachgefragt werden.“
Doch für viele Autofahrer ist das noch unbekanntes Terrain. Bei Audi können IAA-Besucher schon mal das Gefühl erleben, in einem Wagen zu sitzen, der von selbst in eine Garage hereinfährt. Aus dem Fahrer wird ein Passagier, der nur noch per Knopfdruck den Einpark-Befehl erteilen muss - oder nicht mal das: Weil der Befehl auch per Smartphone-App erteilt werden kann, muss niemand in dem Auto sitzen.