Mythos mit Muskeln: Der Chevrolet Camaro
Detroit/Rüsselsheim (dpa/tmn) - Er ist die automobile Entsprechung zu Fastfood und Rockmusik: Kaum ein anderes Auto steht so sehr für den „American Way of Drive“ wie der Chevrolet Camaro. Jetzt kommt das Muscle-Car nach langer Pause wieder nach Europa.
Nein, die ersten waren sie nicht. Zwar hatten die Strategen von Chevrolet schon früh in den 1960er Jahren über einen bezahlbaren Sportwagen nachgedacht, der den Erfolg der Corvette auf eine breitere Basis stellen sollte. Doch dann kamen ihnen die Kollegen von Ford zuvor: Sie haben 1964 den Mustang präsentiert. Stark und schnell, bullig und billig, stürmte er im wilden Galopp ins Herz der Nachwuchsfahrer und definierte damit das Segment der sogenannten Pony Cars. Lange, bevor in Europa Autos wie der Golf GTI, der Ford Capri oder der Opel Manta die Idee vom automobilen Breitensport populär machten, war auf diese Weise der Sportwagen für Jedermann geboren.
Das brachte Chevrolet so sehr in Zugzwang, dass die General Motors-Tochter nur zwei Jahre später nachlegte: Im Juni 1966 enthüllte Markenchef Peter Estes einen Sportwagen, den er als „kleines bösartiges Tier, das Mustangs frisst“ ins Rennen schickte: den Camaro. Der Zweikampf, in den sich drei Jahre später auch noch die Chrysler-Tochter Dodge mit dem Challenger mischte, war General Motors so wichtig, dass die Enthüllung nicht nur von dutzenden Journalisten vor Ort verfolgt wurde. Sondern zum ersten Mal wurden damals auch die Medien in 14 anderen Städten telefonisch zugeschaltet. „Das war ein Novum für diese Zeit“, sagt Chevrolet-Sprecher Rej Husetovic.
Sie alle berichteten über ein leidenschaftlich gezeichnetes Coupé, dem ein Sechszylinder mit 3,6 Litern Hubraum und 140 PS gehörig einheizte. Und das zu einem Preis von fast schon lächerlichen 2466 Dollar. Genau wie den Mustang gab es den Camaro bald auch als Cabrio. Außerdem wurden eine Rallye-Version RS sowie eine Supersportversion SS aufgelegt. Und schon damals gab es wie bei vielen Fahrzeugen erst heute über 100 Ausstattungs- und Designoptionen. So konnte sich jeder seinen ganz persönlichen, unverwechselbaren Camaro zusammenstellen. Dabei ist noch nicht die Rede von den vielen hundert Umrüstungen der beim Camaro besonders ausgeprägten Tuning-Szene.
Das Auto wurde auf Anhieb ein Erfolg: Porsche verkaufte zu jener Zeit wenige tausend Stück des 911, aber Chevrolet kam regelmäßig auf eine Jahresproduktion von mehreren hunderttausend Exemplaren. Selbst die Ölkrise und manche Designverfehlungen konnten dem Mythos mit Muskeln nichts anhaben. Kein Wunder also, dass der Wagen mittlerweile eine Produktionsziffer von über fünf Millionen Autos erreicht hat.
Dabei ging General Motors Kurz vor dem Ende des letzten Jahrhunderts mit dem Camaro zunehmend lieblos um. Die Modellpflege war halbherzig, das Engagement der Ingenieure galt den SUV und Geländewagen, und 2002 wurde die Produktion nach fast Jahren eingestellt. Die Amerikaner hatten da mit dem Klassiker offenbar schon abgeschlossen: Während GM das letzte Exemplar ins Museum brachte, wurde der vorletzte Camaro versteigert und brachte vergleichsweise magere 71 500 Dollar ein.
Doch so ganz vergessen war die Idee offenbar nie: Drei Jahre später stand auf der Motorshow in Detroit plötzliche die Studie eines Nachfolgers. Und sie hatte wieder alle typischen Merkmale eines Muscle-Cars zu bieten: Die lange Haube, die dicken Backen und das kurze Heck waren retro, aber nicht nostalgisch. „Als wir das Auto als Concept Car vorgestellt haben, hatten erwachsene Männer und Frauen Tränen in den Augen“, erinnert sich Designchef Ed Welburn. Vier Jahre später stand auf der Messe in Detroit die neue, mittlerweile fünfte Generation des Klassikers. Die knapp sieben Jahre Zwangspause waren vergessen.
In Deutschland mussten die Fans des „American Way of Drive“ noch etwas länge warten. Lange Zeit war den hiesigen Fans des Muscle-Cars nur der Weg zum Freien Importeur geblieben - was übrigens für den Ford Mustang und den Dodge Challenger immer noch gilt. Manche holten sich den Camaro als Old- und Youngtimer auf eigene Faust ins Land. Doch jetzt nehmen die Amerikaner das Heft selbst in die Hand: In diesem Herbst wird zumindest der Camaro endlich wieder offiziell in Deutschland angeboten.
„Und genau wie in Amerika setzen wir nicht nur auf ein muskulöses Design und mächtige Motoren, sondern auch auf einen attraktiven Preis“, sagt Pressesprecher Husetovic: Mit 38 990 Euro für das Coupé und 4000 Euro Aufschlag für das Cabrio wird der bis zu 318 kW/432 PS starke Amerikaner zu einem der günstigsten Achtzylinder-Sportwagen der Republik. Gut möglich, dass sich damit die Geschichte umkehrt und diesmal Chevrolet den Trend setzt. Denn angeblich, so ist am Stammsitz in Detroit und in der Europazentrale in Köln zu vernehmen, soll der für 2014 avisierte Nachfolger des Ford Mustang ebenfalls eine globale Karriere antreten und auch in Europa angeboten werden.