Notruf aus dem Auto: Europas langer Weg zum „eCall“

Eindhoven/Berlin (dpa/tmn) - Der automatische Notruf „eCall“ soll in Zukunft Leben retten, indem er unmittelbar nach einem Autounfall Rettungskräfte anfordert. Bis der EU-Standard kommt, könnten noch Jahre vergehen.

Einige Hersteller bieten längst eigene Systeme an.

Es ist ein düsteres Szenario: Das Auto kommt nachts von der Straße ab und überschlägt sich. Der Fahrer liegt schwer verletzt im Fahrzeugwrack - doch niemand ist in der Nähe, der einen Notarzt rufen könnte. Um in einer solchen Situation auszuschließen, dass keine Hilfe kommt, will die EU-Kommission bis 2015 das automatische Notrufsystem „eCall“ für alle Neuwagen einführen. Experten rechnen mit jährlich bis zu 2500 Verkehrstoten weniger in Europa, weil Rettungskräfte oft schneller zur Stelle wären.

Das „eCall“-Prinzip ist einfach: Bei einem Unfall registriert das Notrufsystem, wenn die Airbags auslösen. Es übermittelt unter anderem den exakten Standort an die nächstgelegene Rettungsleitstelle. Sobald die Daten eingehen, wird von dort eine Sprachverbindung ins Auto hergestellt. Der Fahrer kann auch selbst einen Notfall-Knopf drücken, wenn er zum Beispiel einen Unfall beobachtet, erklärt Lars Reger von der Firma NXP. Das Unternehmen hat eine Sendebox entwickelt, die technisch alle Voraussetzungen für den europaweiten „eCall“ erfüllt.

Dennoch gibt es noch Probleme: Die Rettungsdienste müssten die für ganz Europa weiterentwickelte Notrufnummer E112, auf der „eCall“ basiert, erst einmal empfangen und den übermittelten Datensatz auslesen können, sagt Harry Evers. Er kümmert sich in Abstimmung mit der EU-Kommission und dem Bundesverkehrsministerium in Berlin um die länderübergreifende Umsetzung von „eCall“. Der Notruf soll bei den Rettungsdiensten wie ein Fax einlaufen: Es piept - und die Leitstelle weiß sofort, dass ein automatischer Hilferuf eingegangen ist. „Das muss aber erst alles noch passieren“, so Evers.

Einige Länder stellen sich derzeit noch quer: Frankreich und England haben die Absichtserklärung für das System nicht unterzeichnet. „Wenn ich aber mit meinem Wagen in Frankreich unterwegs bin und der europäische Notruf nicht geht, ist das ein Problem“, sagt Evers. Und der Autofahrer soll schließlich überall in Europa mit einem Rettungsdienst verbunden werden, der auch Deutsch spricht. Die europaweit einheitliche Einführung des „eCall“ klingt also noch nach Zukunftsmusik. Unabhängig von dem geplanten EU-Standard bieten viele Fahrzeughersteller aber schon länger eigene Notruf-Systeme an.

Vorreiter ist BMW. Das Unternehmen leistet seit 1997 mit dem Rettungsassistenzsystem „Connected Drive“ schon lange etwas, das mit „eCall“ in Zukunft jedes Auto können soll: Im Falle eines Crashs übermittelt das System die Positionsdaten und Informationen zu Schwere und Art des Unfalls. Der Unterschied: BMW hat ein Call-Center zwischengeschaltet, das den Kontakt zu Fahrzeuginsassen per Sprachverbindung aufnimmt und - falls erforderlich - Rettungskräfte alarmiert. Mehr als 600 000 Autos sind nach Angaben des Herstellers inzwischen mit dem System ausgestattet.

Auch das Zusatzsystem „Volvo On Call“ des schwedischen Autoherstellers informiert selbstständig über den Standort des Autos, wenn ein Airbag oder Gurtstraffer auslöst. Reagiert der Fahrer nicht auf den Rückruf eines Volvo-Mitarbeiters, ruft dieser den Notarzt. Bei französischen Autoherstellern heißen die Systeme „Peugeot Connect SOS“ oder „Citroën Notruf“. Der Alarm erreicht auch hier erst die Zentrale des jeweiligen Autobauers.

Alle Herstellersysteme haben gemeinsam, dass sie nur in bestimmten EU-Ländern funktionieren. Außerdem kosten diese Notruf-Lösungen als Zusatzausstattung extra. Sollte „eCall“ 2015 wirklich verpflichtend zur Serienausstattung von Neuwagen gehören, bleibt die Frage, ob die bisherigen Systeme der Hersteller damit kompatibel sind. „Auch das ist noch offen“, räumt Evers ein. Derzeit arbeite man an Standarisierungen für Drittanbieter.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass viele Hersteller schnell nachrüsten werden, wenn das EU-Vorhaben konkrete Züge annimmt. „Das Thema ist deshalb so heiß, weil man mit dieser Infrastruktur eine Plattform für alle möglichen Dienste hat“, sagt Evers. Die Autobauer bieten schon heute häufig zusätzliche Serviceleistungen wie eine Diebstahlortung über ihre eigenen Systeme an. „Anbieter von Software und Hardware wittern da ein Milliardengeschäft“, sagt Rainer Hillgärtner vom Auto Club Europa (ACE) in Stuttgart.

Bei „eCall“ sollen die gesendeten Informationen irgendwann auch Patientendaten enthalten. Der Notarzt weiß dann zum Beispiel, wenn ein Fahrer Blut verdünnende Medikamente nimmt. „Der Vorsatz ist gut, aber es bleibt zweifelhaft, ob das alles zeitnah realisiert werden kann“, fasst Hillgärtner zusammen. „Dafür sind noch riesige Investitionen nötig.“ Bis „eCall“ in Europa zum Standard wird, dürfte also noch einige Zeit vergehen. Und bis dahin müssen Autofahrer für den automatischen Notruf weiter draufzahlen.