Schönheit von innen: Bei Facelifts zählt Optik immer weniger
Wolfsburg (dpa/tmn) - „Lifecycle-Impuls“, „Große Produktaufwertung“, „Mopf“: Wenn es um die Aktualisierung laufender Modelle geht, bedienen sich Marketing-Manager gerne einiger Fachbegriffe.
Und das alles nur, um das Wort „Facelift“ zu vermeiden.
Wie der Begriff sagt, geht es vor allem um optische Veränderungen. Linien werden nachgezogen, die Schminke wird aufgefrischt. Das Design angepasst. So viel zur Vergangenheit. Mittlerweile hat der Begriff ausgedient.
Heute greifen Ingenieure so tief in die Technik, dass es kaum mehr für optische Retuschen reicht: Egal ob 6er BMW, VW Sharan, Seat Ibiza, Toyota Auris oder Mercedes A-Klasse - neue LED-Signaturen in den Scheinwerfern, ein paar neue Lackmischungen und eventuell noch ein paar zusätzliche Radreifenkombinationen müssen reichen, um auf den ersten Blick einen Unterschied zu machen.
Ging es früher vor allem um Äußerlichkeiten, konzentrieren sich die Hersteller jetzt auf die inneren Werte: Mit steigender Vernetzung und Digitalisierung der Autos nähern sich die Hersteller stärker der Welt der sogenannten Consumer-Elektronik (CE), sagt Stefan Bratzel. Der Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach sieht einen wachsenden Bedarf an Software-Updates und neuen elektronischen Systemen. Den Herstellern geht es heute etwa um die neueste Smartphone-Integration oder ein paar selbst programmierte Apps.
Der Gipfel ist die massenhafte Einführung von vernetzten Systemen wie Apple Carplay, Mirror-Link oder Android Auto. Es sind Technologien, mit denen das Smartphone mit dem Auto verbunden wird. „Während sich solche Software-Anpassungen längst zu einem must-have entwickelt haben, werden Design-Retuschen in einer Zeit, in denen die Kunden die Aktualität ihres Autos zunehmend mit den Connectivity-Features ihres Smartphones vergleichen, zu einem nice-to-have“, sagt Bratzel.
Was neben der Elektronik weitere Energie der Fahrzeugentwickler erfordert, sind die Emissionen. Nicht nur dass Hersteller mit Blick auf die ab September geltende EU6-Vorschrift viele Triebwerke aktualisieren oder austauschen müssen. Sie alle haben für 2020 das Flottenziel von 95 g/km vor Augen. Jedes ersparte Gramm CO2 bedeutet einen ungeheuren Kraftaufwand. Es ist ein teures Unterfangen, sagt VW-Chef Martin Winterkorn: „Jedes Gramm CO2, das wir in Europa in der Flotte einsparen, kostet unseren Konzern fast 100 Millionen Euro.“
Daimler-Chef Dieter Zetsche investiert rund die Hälfte der sechs Milliarden Euro, die sein Konzern jedes Jahr in Forschung und Entwicklung steckt, in die CO2-Reduktion und in grüne Technologien. Oft bleibt nicht viel Geld, um ein paar neue Falten in Blech zu ziehen. Dieter Fess vom Restwertanalysten Bähr und Fess aus Völklingen meint, dass angesichts der immer kürzeren Produktionsintervalle nicht mehr viel aufgefrischt werden muss, weil ohnehin schon wieder ein Nachfolger ins Haus steht. „Bei immer mehr Baureihen und Modellvarianten in immer weniger Zeit drohen die Kunden sonst gar vollends den Überblick zu verlieren“, sagt Fess.
Nur wenn die Designer anfangs danebenliegen, müssen die Hersteller laut Fess während der Laufzeit doch noch an die Karosserie. Und natürlich hänge das Ausmaß der Modellpflege auch am Alter eines Fahrzeugs. „Wer jung genug ist, kann sich oft schon mit neuen Klamotten und ein bisschen Lippenstift hübsch machen. Wer deutlich mehr Jahre auf dem Buckel hat, muss dagegen oft schon zu drastischeren Mitteln greifen.“ Je tiefer die Autobauer jedoch ins Blech greifen, desto weniger sind die aktuellen Gebrauchtwagen wert. „Auch deshalb ist ein behutsames Vorgehen angeraten, wenn man seine Kunden nicht nachträglich verprellen will“, so Fess.
Die zögerliche optische Auffrischung widerspricht allerdings der Gier nach neuen Reizen, die es offenbar für Kaufimpulse braucht. Das zumindest hat VW schmerzlich auf dem US-Markt erfahren. Dort hatte der Wolfsburger Hersteller mäßigen Erfolg wegen langer Modellzyklen und zu wenig äußerlichen Veränderungen. „Das Publikum braucht die schnelleren Anreize, schnellere Produktlebenszyklen, die schnelleren Beats beim Ausstoß in den Autofabriken, um aufs Neue zum Kauf stimuliert zu werden“, sagt Fess. Ein kleiner Trost bietet da vielleicht die Weltliteratur. Ein Satz aus der „Der kleine Prinz“ des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry besagt: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“