Renault Race Truck: Ein eiliger Elefant
Berlin (dpa-infocom) - Von wegen lahmer Elefant: Wenn Markus Oestreich seinen Renault Race Truck beim Truck-Grand-Prix (8. bis 10. Juli) über den Nürburgring prügelt, dürften sogar eingefleischte Sportwagenfahrer blass werden.
Wenn Markus Oestreich die üblichen Vorurteile über Lastwagen hört, kann er nur lachen. Dass sich Trucks bei leidigen Elefantenrennen auf der Autobahn im Kriechgang eine Steigung hinauf quälen - das mag stimmen. Aber Oestreichs Laster ist anders. Ganz anders. Denn der Hesse ist Rennfahrer im europäischen Truck-Grand-Prix. Er sitzt seit fast 20 Jahren am Steuer eines Lastwagens, der die Elefantenrennen im Eiltempo für sich entscheiden könnte. Beim Truck-Grand-Prix nimmt er in seinen vom tschechischen Rennstall MKR eingesetzten Renault Premium Platz.
Schneller als mancher Sportwagen
Obwohl der Truck 5,5 Tonnen schwer ist, beschleunigt sein 2,6 Meter hohes Gebirge aus Stahl in 2,8 Sekunden von Null auf Tempo 100. Er könnte rein theoretisch eine Höchstgeschwindigkeit von 270 km/h erreichen. Allerdings gibt es für den Motor ein paar technische Einschränkungen im Reglement. Und mit Rücksicht auf die Strecken ist das Tempo auf 160 km/h limitiert.
Um den Truck so flott zu machen, muss Konstrukteur Mario Kress tief in die Trickkiste greifen. „Eigentlich dürfen wir nur Serienteile verwenden. Aber natürlich gibt es da einen gewissen Interpretationsspielraum“, sagt der oberste Techniker im Team mit einem verschmitzen Grinsen. So hat er die Leistung des 12,8 Liter großen Diesels von 368 kW/500 PS auf 838 kW/1140 PS gesteigert und könnte ohne den vorgeschriebenen Luftmassenbegrenzer sogar bis zu 1250 kW/1700 PS aus dem Sechszylinder holen. Schon diese Zahl lässt selbst den 736 kW/1001 PS starken Bugatti Veyron blass aussehen. Doch noch imposanter ist das maximale Drehmoment: Wenn Oestreich Gas gibt, reißt der Race Truck mit mehr als 6000 Newtonmetern am Asphalt. Ein normaler VW Golf erreicht nicht einmal ein Zwanzigstel dieser Anzugskraft.
Bremsen brauchen Wasserkühlung
Nicht nur für die Beschleunigung ist ein immenser Aufwand nötig, sondern auch für die Bremsen. Weil Bremsscheiben aus Keramik nie auf die richtige Temperatur kämen und konventionelle Technik nach wenigen Runden verglüht wäre, fahren die Race Trucks mit einer Wasserkühlung. Bei jedem Bremsmanöver spritzen deshalb zahlreiche Düsen einen feinen Wassernebel auf Scheiben und Beläge. So wird die Temperatur gesenkt. Deshalb braucht Oestreichs Truck bei den etwa halbstündigen Rennen nicht nur 120 Liter Biodiesel, sondern auch bis zu 280 Liter Wasser.
Denkt man sich die bunten Aufkleber, Spoiler und massiven Schutzplanken um den Rahmen weg, sieht der Race Truck tatsächlich aus wie ein ganz normaler Renault Premium. Doch innen ist es mit den Parallelen schnell vorbei. Wo die Trucker auf einem luftgefederten Sessel über die Autobahn schweben, ist Oestreich in einem maßgeschneiderten Schalensitz festgezurrt. Bevor er den entern kann, klettert er durch einen massiven Überrollkäfig und nimmt das Lenkgestänge zwischen die Beine, das offen durchs Fahrerhaus ragt. Vor Augen hat er ein kleines Cockpit, das nur den Drehzahlmesser und die wichtigsten Kontrollleuchten zeigt. Rings herum liegt offen die gesamte Bordelektronik ausgebreitet. „Ein Race Truck muss schnell und nicht schön sein“, entschuldigt er das kontrollierte Chaos an seinem Arbeitsplatz.
Wie ein Elefant durchs Nadelöhr
Einen Race Truck über die Strecke zu wuchten, ist anstrengend. Es gleicht dem Versuch, einen Elefant durch ein Nadelöhr zu führen. Ein gewisses Risiko ist ebenfalls dabei. „Denn elektronische Fahrhilfen sind tabu“, erläutert der PS-Profi: Kein ESP greift ein, wenn sich das knapp sechs Meter lange Trumm in die Kurve dreht und man nicht rechtzeitig gegenlenkt. Natürlich schlägt auch keine Abstandskontrolle Alarm, wenn man dem Gegner zu nahe auf die Pelle rückt. Und das passiert bei den Rennen oft. Schließlich sind die Strecken in der Regel für Pkw konzipiert und deshalb für die Trucks eigentlich viel zu schmal. Nicht umsonst ist das Tempo auf 160 km/h limitiert.
Doch genau das ist es, was Oestreich so an der Rennserie gefällt: „Trucksport ist Kontaktsport“, sagt der Rennfahrer und freut sich bereits jetzt auf die kameradschaftlichen Rempler in der ersten Kurve nach dem Start. Das kommt offenbar auch beim Publikum gut an. Die Besucherzahlen beim Truck-Grand-Prix sind in der Regel besser als bei den Gastspielen der Formel 1.
Fazit: Mit der Zielflagge endet die Liebe zum Laster
Sobald die Offiziellen die Zielflagge schwenken und sich Fans und Fahrer auf den Heimweg machen, ist es mit der Liebe zum Laster allerdings meist wieder vorbei. Denn auf der Autobahn gibt es zwar jede Menge Elefanten, aber von Eiltempo kann dort keine Rede sein.