Rolls-Royce Wraith: Kräftemessen im Königshaus
Berlin (dpa-infocom) — In der Ruhe liegt die Kraft: Weil der erfahrene Regent sein Reich mit einem Fingerzeig regiert, hat Rolls-Royce bislang den leisen Auftritt gepflegt. Doch wenn im November der Wraith in den Handel kommt, bekommt man endlich etwas zu hören.
Glanz und Gloria? Bitte reichlich! Aber Kraft und Krawall? Mit solch bürgerlichen Vergnügungen hat sich der englische Auto-Adel bislang kaum abgegeben. „Ausreichend“ war die Standardantwort auf die Frage nach der Leistung der selbst bei Vollgas allenfalls leise säuselnden Zwölfzylinder. Doch jetzt zieht Rolls-Royce auf: Wenn im November für knapp 280 000 Euro der Wraith herauskommt, protzt die exklusive BMW-Tochter nicht nur erstmals mit ihren Leistungswerten. Sie sorgt auch dafür, dass man den stärksten Motor in ihrer Geschichte endlich einmal zu hören bekommt.
Der Thronsessel kneift
Natürlich ist alles viel vornehmer und distinguierter als bei einem Bentley Continental oder gar einem BMW Sechser. Selbstverständlich gibt es weder alberne Schaltwippen am Lenkrad noch peinliche Karbonimitate im Cockpit und erst recht kein Verstellfahrwerk mit Sportmodus. Doch plötzlich ist der sonst so abgehobene Thronsessel ganz schön nah am Boden und bietet so viel Seitenhalt, dass es ein wenig in den Lenden kneift.
Man steht nicht mehr über den Dingen, sondern wird Teil des Ganzen und will die Sache buchstäblich selbst in die Hand nehmen. Kein Wunder, dass sich das Lenkrad jetzt so dick anfühlt, dass man sorgenfrei auch einmal fester zupacken kann. Nach zwei, drei Gasstößen lernt man, dass die ESP-Leuchte zurecht flackert.
Unter dem Smoking ein Sportler
Der Druck auf den Startknopf erweckt einen V12-Motor zum Leben, wie es ihn bei Rolls-Royce bislang noch nicht gegeben hat. Zwar bauen die Briten das Aggregat auch in Phantom und Ghost ein. Doch für den Wraith legt der 6,6 Liter-Motor noch einmal zehn Prozent zu. Jetzt kommt er auf 465 kW/632 PS und hält mit dieser Leistung nicht hinter dem Berg.
Beim Anlassen brüllt er kurz auf. Und wer beherzt Gas gibt, kann beim Anfahren tatsächlich die riesigen Reifen quietschen lassen. Nicht umsonst legt der Wraith beim Kräftemessen eine Sprintzeit von 4,6 Sekunden hin. Zudem lässt er sich trotz seiner knapp 2,5 Tonnen überraschend behände über sanft geschwungene Alpenpässe treiben. Pfui, wie gewöhnlich.
Kein Schweiß aufs Holz!
Rolls-Royce hat zwar auf der Suche nach neuen Kundenschichten ein wenig Sportlichkeit entdeckt, doch man muss es nicht gleich übertreiben. Wo das maximale Drehmoment von imposanten 800 Nm bereits bei 1500 Touren erreicht wird und die seidenweiche Achtgang-Automatik ihre Schaltpunkte mit Hilfe der Navigation perfekt an den Streckenverlauf anpasst, kann man weiterhin ganz gediegen dahin rollen und jeden Meter genießen.
Sanft bügelt die Luftfederung jede Bodenwelle aus und die Lenkung dreht so leicht, dass man den 5,27 Meter langen Luxusliner auch mit dem kleinen Finger steuern kann. Hektische Betriebsamkeit will so gar nicht zu der ruhigen Luxusatmosphäre an Bord passen. Und Schweißflecken machen sich nicht wirklich gut auf den offenporigen Hölzern. Denn auch als ultimativer Gran Turismo für den Herrenfahrer von Welt kann der Wraith seine feine Abstammung nicht verhehlen.
Ghost Coupé mit einem gespenstischen Charakter
Auch wenn der Wraith einen ganz anderen Charakter hat, ist er technisch nicht viel mehr als ein Coupé des Ghost. Allerdings haben die Briten das Format geändert und den Radstand um knapp 20 Zentimeter gestutzt. Zudem haben sie die Form so gründlich verändert, dass nur die Motorhaube übernommen werden konnte. Der wuchtige Kühlergrill steht breiter im Wind, die langen Türen an der stärker konturierten Flanke sind natürlich entgegen der Fahrtrichtung angeschlagen und das Heck ist fast so schemenhaft wie das Gespenst, das dem Wraith seinen Namen gegeben hat.
Dazu gibt es ein Interieur, das bei aller Noblesse etwas enger, ja beinahe intimer ist. Aus dem vornehmen Salon wird eine Art Separee für den flotten Vierer, das man nur noch mit wirklich guten Freunden teilen mag. Denn zum Einsteigen muss man sich jetzt schon ein bisschen anstrengen und mit der Aussicht ist es hier auch nicht mehr ganz so weit her. Aber selbst wenn sich alles um den Fahrer dreht, sitzt man im Wraith in der zweiten Reihe noch in der ersten Klasse.
Fazit: Selbst ist der Mann, selbst wenn er ein König ist
Pomp und Power im Überfluss — so hat es Rolls-Royce an die Spitze der Chauffeurslimousinen geschafft. Doch jetzt ist die üppige Reserve plötzlich gar nicht mehr so still und der Lockruf der Leistung hallt so laut durch die Salons, dass Henry oder Charles mal Pause machen können: Hier greifen sogar Königs & Co lieber selbst ins Steuer.
Datenblatt: Rolls-Royce Wraith
Alle Daten laut Hersteller, GDV, Schwacke