Ballettabend auf der Düsseldorfer Opernbühne begeistert Sog und Zauber: „Kaleidoskop“

DÜSSELDORF · Athleten stemmen sich gegen ein massives Rechteck. Und bewegen mit voller Kraft die rätselhafte Metallskulptur, die sich plötzlich von innen öffnet. Auf den ersten Blick denkt man, der berühmte Bildhauer Richard Serra hätte sie auf die Düsseldorfer Opernbühne installiert.

Iratxe Ansa & Igor Bacovich „Moto perpetuo“: Das Ensemble des Balletts am Rhein in Düsseldorf

Foto: Altin Kaftira

Doch das Estudiode Dos kreierte diese mobile Wunder-Plastik als Dreh- und Flucht-Punkt von „Moto Perpetuo“ – ein spektakulär ästhetisches Tanzstück, das jetzt vom Ballett am Rhein in Düsseldorf aus der Taufe gehoben wurde.

Künstlerisch hinterlässt diese kraftvoll aufgeladene Körper-Skulptur von Iratxe Ansa und Igor Bacovich nach der Premiere den stärksten Eindruck. Der Titel „Kaleidoskop“ passt – treffen doch in gut zweieinhalb Stunden eine Vielzahl von Farben, Tänzerpersönlichkeiten, Stilen, Klängen und musikalischen Kompositionen aufeinander.

So präsentiert Düsseldorfs Ballett-Chefin Bridget Breiner einen Tanzabend – fast wie eine Wundertüte. Und knüpft damit an die Dreier-Abende an, die hier einst Martin Schläpfer in elf Jahren zum Markenzeichen des Balletts am Rhein machte.

„Moto perpetuo“ – ständig in Bewegung sind alle Tänzer – nicht nur der Solist Marcio Mota: Er führt als kraftvoll geschmeidiges Wesen die Gruppen an oder lehnt sich – auf der anderen Seite der Metall-Mauer – gegen sie auf. Oder wenn sich plötzlich ein Tor in der Mauer öffnet und die Gruppe scheinbar verschlingt. So mutiert der Solist zu einer Art Rattenfänger (von Hameln). Andere Szene: Mota schreitet durch eine kleine Öffnung – und unvermittelt verwandelt sich die Wandskulptur in ein Labyrinth.

Ebenso energetischen Sog und einen ungewöhnlichen Zauber entwickeln neun Frauen und Männer der Kompanie in mechanischen, dann wieder neoklassischen Schrittkombinationen. Und überraschenden Gruppenbildern mit hoch rankenden Armen, die manchmal an barocke Revolutionsgemälde erinnern. Entfacht werden sie durch stetig wiederholende Rhythmen der dritten Symphonie von Philipp Glass. Auf Tänzer und Zuschauer wirkt die Minimal Music hier dauerhaft elektrisierend, zumal sie an allen Pulten der Düsseldorfer Symphoniker unter Thomas Herzog mit Ausdauer und Präzision intoniert werden. Anders als bei anderen Tanzkompanien leistet sich Düsseldorf Live-Orchester-Musik und erhöht damit die Vitalität des athletischen Reigens.

Nächste Facette des Abends: afrikanische Stammeswelt und Austreibung von bösen Geistern. Tänzer hüpfen, stampfen und schütteln sich in bohrenden Rhythmen in Ekstase. Geführt und gelenkt von einer Priesterin in blau-weiß-rotem Fransen-Dress, die permanent durch die Reihen huscht. Traditionelle Bewegung von Stammesritualen mischt Mthuthuzeli November in seiner Uraufführung „Invocation“ mit akademischem Tanz. Und befreit damit die archaischen Bewegungen von den üblichen Staub- und Hütten-Klischees und hebt archaische Tanzmuster heraus in eine moderne Welt. Sicherlich ein gewagtes Experiment, in dem sich der junge, südafrikanische Choreograf November mit seiner Familiengeschichte beschäftigt. Sagt er zumindest im Programmheft. Die beiden Welten verschmelzen jedenfalls in den peitschenden und aufbäumenden Rhythmen der Musik von Alex Wilson und verleugnen hier und da Ähnlichkeiten mit Ravels ‚Bolero‘ nicht.

Dritte Facette – ein sinnlich beflügelndes Spiel in Rot, Gelb, Grün und mit Körpern in einem rasanten Klassiker des neoklassischen Balletts. Tänzer sind, wie bereits in den ersten Stücken, permanent in Bewegung. „Vers un Pays Sage“ nennt Jean-Christophe Maillot die Hommage von 1995 an seinen Vater, der als Kunstmaler stark von der südfranzösischen Sonne geprägt war. Ähnlich wie in dessen Bildern tauchen die Paare in warmweißen Trikots in hellgrüne Farbkosmos ein, der sich durch effektvolle Lichteffekte (Dominique Drillot) plötzlich in gelbliche oder rötliche Landschaften (paysage) verwandelt.

Neoklassische Kombinationen in Soli, Duetten, Dreier oder Viererkombinationen eilen zu den manchmal ratternden Klängen von „Fearful Symmetries“ von John Adams vorüber. Die Akzente der Minimalmusik setzt Maillot Eins-zu-Eins in Bewegung oder plötzlich entstehenden Posen um. Auf den Punkt. Die Stärke des Choreografen Maillot (in Monte Carlo) sind sicherlich die geometrischen Muster, in den er die Körper hineinmontiert. Der perfekt trainierten Düsseldorfer Ballettkompanie gelingt es, selbst in manch vertrackten Gruppenszenen, symmetrische Bilder zu produzieren. Sicherlich eine Meisterleistung, zumal die permanent perkussive Livemusik auch von geübten Athleten eine extreme Kondition abverlangt. Jubel und Freude auf allen Rängen und nach allen Bildern des „Kaleidoskops“.

„Kaleidoskop“: Dreiteiliger Ballettabend mit zwei Uraufführungen und einem Klassiker neoklassischen Balletts. Dauer zweidreiviertel Stunden. Zwei Pausen. Bis Juli im Programm. Termine, Tickets: Telefon unter 0211/ 89 25 211.