70 Jahre ENIAC: 17 468 Röhren im ersten Universalcomputer
Philadelphia (dpa) - Mitten im Zweiten Weltkrieg machten sich zwei US-Wissenschaftler auf den Weg, der Artillerie der US-Army bei der komplizierten Berechnung von Flugbahnen helfen.
Der Physiker John William Mauchly und der Ingenieur John Presper Eckert starten 1942 mit ihren Entwürfen für eine gewaltige Maschine, die unter dem Namen ENIAC I („Electronical Numerical Integrator and Computer“) in die Technikgeschichte eingehen sollte.
Die konkrete Entwicklung des ENIAC I begann allerdings erst ein Jahr vor der Landung der Alliierten in der Normandie. Und als der ENIAC I schließlich am 15. Februar 1946 in einem Artikel der „New York Times“ der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hatten die Alliierten ihre Gegner Deutschland und Japan bereits niedergerungen. Mit dem aufziehenden Kalten Krieg änderte sich dann der Verwendungszweck des Rechenmonstrums: Der ENIAC I wurde von US-Wissenschaftlern in Los Alamos verwendet, um die Zerstörungskraft der ersten Wasserstoffbombe zu berechnen.
Der ENIAC I war groß wie eine Wohnung, 27 Tonnen schwer und verfügte dabei noch nicht einmal über einen Bildschirm. Für den Betrieb waren
17 468 Elektronenröhren und 7200 Dioden notwendig, die 150 Kilowatt elektrischer Leistung verschlangen. Da beinahe ständig einzelne Röhren ausfielen, war der Rechner ziemlich unzuverlässig. Allerdings arbeitete der ENIAC I im Vergleich zu seinen mechanischen Vorgängern seine Rechenschritte deutlich schneller ab. So konnte die Riesenmaschine rund 5000 Rechenoperationen pro Sekunde bewältigen, etwa 1000 Mal schneller als mechanische Rechner. Im Vergleich: Ein aktuelles Smartphone kann in einer Sekunde über 30 Milliarden Instruktionen stemmen.
Die Programmierung ENIAC I war äußerst kompliziert, denn für jede Programmänderung mussten die technischen Komponenten neu verkabelt werden. „Das war eine anstrengende und anspruchsvolle Tätigkeit, die von den sogenannten ENIAC-Frauen erledigt wurde“, erläutert Andreas Stolte vom Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF) in Paderborn. Die ENIAC-Frauen Francis Betty Snyder Holberton, Betty Jean Jennings Bartik, Kathleen McNulty Mauchly Antonelli, Marlyn Wescoff Meltzer, Ruth Lichterman Teitelbaum und Frances Bilas Spence mussten sich lange Zeit gegen das Image von „Refrigerator Ladies“ wehren. So wurden die jungen Damen auf Werbefotos bezeichnet, die vor Kühlschränken posierten, um die Maschine gut aussehen zu lassen. Inzwischen weisen Technik-Historiker den ENIAC-Frauen eine Pionierrolle zu.
Die führenden ENIAC-Entwickler Eckert und Mauchly wurden 1947 von der Universität im Streit um die Verwertungsrechte an dem Computer entlassen. Sie versuchten später, sich offiziell ein Patent für die Erfindung des Computers eintragen zu lassen. Der US Federal Patent Court lehnte 1973 diesen Anspruch allerdings ab und verwies dabei auf Konzepte von John Vincent Atanasoff und Cliffort Berry, die ebenfalls in dieser Zeit an der Entwicklung eines Computers gearbeitet hatten. Der Atanasoff—Berry-Computer war bereits einige Jahre vor dem ENIAC I entwickelt worden, konnte allerdings nicht programmiert werden, sondern nur lineare Gleichungen lösen.
Als „Erfinder des modernen Computers“ sehen viele Technik-Historiker aber weder Eckert und Mauchly noch Atanasoff und Berry, sondern den Deutschen Konrad Zuse. Der Bauingenieur entwickelte zwischen 1935 und 1938 seine mechanische Rechenmaschine „Z1“, die ihm monotone Statik-Kalkulationen abnehmen sollte. Das Nachfolgegerät „Z3“ arbeitete bereits mit Elektrorelais und war der erste vollautomatische, programmgesteuerte und frei programmierbare Rechner der Welt. Der „Z3“ dürfte sich damit den Titel des ersten funktionstüchtigen Computers der Welt verdient haben.
Zuse wurde zwar während des Krieges auch finanziell von der Rüstungsindustrie gefördert, doch spielten die Zuse-Rechner militärisch keine Rolle mehr. Nach dem Kriegsende versuchte auch Zuse, sich ein Patent für die Erfindung des Computers erteilen zu lassen, doch auch er scheiterte 1967 beim Bundespatentgericht. Während Zuse quasi als Alleinkämpfer in Deutschland agierte, löste der im Vergleich zu den Zuse-Rechnern konzeptionell unterlegene ENIAC I in den USA ein stürmische Entwicklung aus, die letztlich zur Geburt des Silicon Valley in Kalifornien führte, weil das US-Militär Firmen wie Hewlett-Packard mit Großaufträgen versorgte.
Der ENIAC I war noch bis 1955 in Betrieb. Danach wurde er auseinandergenommen und die Einzelteile („Racks“) auf verschiedene Institutionen verteilt. Etliche ENIAC-Racks sind in Washington im American History Museum des Smithsonian Institute zu finden. Aber auch in Deutschland kann man sich einen Eindruck vom ENIAC I machen: Im HNF in Paderborn befindet sich seit 1996 ein Original-Rack mit ENIAC-Röhren, das die Dimensionen des ersten elektronischen Universalcomputers der Welt erahnen lässt.