Analyse: CES zwischen Vernetzungs-Euphorie und Sinnsuche
Las Vegas (dpa) - Alles, aber auch wirklich alles wird vernetzt - schon wenige Stunden auf der Technik-Messe CES in Las Vegas lassen kaum noch Zweifel daran.
Thermometer für das Pool-Wasser, Zahnbürsten, Insulin-Spritzen. Snowboards, Fußbälle, Tennisschläger. Küchenwaagen, Überwachungs-Kameras, Hunde-Halsbänder. Die traditionelle Vorab-Show „CES Unveiled“, auf der meist Start-ups und kleinere Player dicht gedrängt ihre neuen Ideen präsentieren, sind voller Alltagsgegenstände, die mit Sensoren versehen wurden.
Die vom Chef des schwedischen Netzwerk-Ausrüsters Ericsson vor ein paar Jahren in den Raum geworfene Zahl von 50 Milliarden vernetzter Geräte bis 2020, die einst völlig weltfremd erschien, wirkt damit eher schon untertrieben. Doch ausgerechnet in dem Jahr, in dem das Vernetzungsfieber Las Vegas endgültig gepackt hat, drück der Chefökonom des Messeveranstalters CEA, Shaun DuBravac, auf die Euphoriebremse.
Es gehe nicht mehr darum, alles Mögliche mit Sensoren vollzupacken, erklärte DuBravac zum CES-Auftakt. Das dies geht, sei längst bewiesen, mit dem Preisverfall bei Sensoren, Speicher und Übertragungschips werde es immer einfacher. Entscheidend sei aber etwas anderes.
„Die Frage heute ist: Verändert diese Vernetzung etwas in der realen Welt? Das ist das Maß für sinnvolle Innovationen.“ Sei es nicht der Fall, werde sich ein Produkt auch nicht bei Verbrauchern etablieren. Beispiele von Produkten, die bei der CES als große Innovation gefeiert wurden - aber dann nie richtig Fuß fassen konnten, gibt es nach jeder Messe in Las Vegas Dutzende.
Schätzungsweise nur vier Prozent der genutzten Produktkategorien seien vernetzt, sagte DuBravac. „Das Nutzungsszenario für die Vernetzung der restlichen 96 Prozent ist noch unklar.“ Der Ökonom wäre aber nicht bei einem Branchenverband, wenn er sich nicht auch revolutionäre Effekte bei zunächst belächelten Messe-Neuheiten wie der vernetzten Zahnbürste vorstellen könnte. „Vielleicht werden Zahnärzte in Zukunft auch Daten-Analysten sein.“
Schließlich könnten sie mit den Daten schon vor einer Behandlung sehen, wann und an welchen Stellen der Patient die Zähne schlechter putze und entsprechende Ratschläge geben.
Das alles klingt nach der Vision von einer schönen neuen Welt - die aber ihren Nutzen nur so richtig entfalten kann, wenn Daten verschiedener Dienste miteinander verknüpft werden. Man nehme zum Beispiel die Filmauswahl an einem Abend. Ein Streaming-Dienst wie Netflix würde auch schon heute einen Film auf Basis der früheren Auswahl eines Kunden vorschlagen.
Nun ist heute aber vielleicht nicht ein Abend wie jeder andere. Die Sensoren für das Raumklima registrieren, dass sich sechs Leute im Raum aufhalten - man hat Besuch. Die Smartwatch erkennt, dass der Hausherr heute gestresst ist. Und das Wetter mag trübe sein. Viele Branchenexperten glauben, dass in der Zukunft alle diese Faktoren einkalkuliert werden, um das Filmprogramm für den Abend zu empfehlen. „Die Technik wird sich immer mehr nach dem richten, was passieren wird, nicht was passiert ist“, formuliert es DuBravac.
Die Folge wäre aber auch eine verknüpfte Ansammlung von Daten zu jedem beliebigen Nutzer. Deutsche Datenschützer schlagen mit Blick auf eine solche Zukunft schon lange Alarm. Heute erzeugen die vielen vernetzten Geräte zwar auch eine schnell anwachsende Datenlawine, die Informationen stecken aber meist noch in den Silos der Anbieter fest. Wie hoch das tatsächliche Risiko ist, sie zu verknüpfen, ist offen.
Der amerikanische Medienwissenschaftler und Unternehmer David Rose, der eine extreme Datenoffenheit mit vielen zum Teil selbst gebauten Geräten in seinem Haushalt vorlebt, ist überzeugt, dass es Gutes bringt. „Die Menschen werden sehen, dass es ihr Leben verbessert und deshalb auch auf solche Dienste zurückgreifen.“ Zugleich ist auch er nicht frei von Ängsten: So macht er sich Sorgen, dass die Versicherungsfirmen zu viel über sein Leben erfahren und ihn bei den Tarifen unter Druck setzen könnten. „Und ich habe Angst, meine Familie in Gefahr zu bringen“ - etwa, dass Einbrecher kommen könnten, wenn sie dank der Daten-Freizügigkeit wüssten, dass er unterwegs sei.