Analyse: Nadella versucht Neustart bei Windows-Konzern
Redmond (dpa) - Was für ein Zeitenwandel: Das Wort „Windows“ kam im Strategie-Manifest des neuen Microsoft-Chefs Satya Nadella zum ersten Mal im 20. Absatz vor.
Nachdem Microsoft mit seinem Betriebssystem Windows über ein Jahrzehnt die Computer-Branche dominiert hatte, gesteht Nadella so offen wie noch nie ein, dass sich die Zeiten geändert haben.
Die heutige Welt werde von mobilen Geräten und Cloud-Diensten beherrscht, betont er. Und alte Errungenschaften zählten nicht viel: „Unsere Industrie hat keinen Respekt für Traditionen - sondern nur für Innovation.“
In dieser „mobile-first und cloud-first“ Welt will Microsoft sich eine Existenzberechtigung als Fels in der Brandung für die Nutzer verschaffen. Egal, ob sie Geräte von Apple oder mit Googles Android-System oder einen PC nutzen - Software und Dienste von Microsoft sollen dafür zur Verfügung stehen.
Der Fokus liege dabei auf „Produktivität“: „Wir helfen Menschen, Dinge zu erledigen“, egal ob es um Lernen, Finanzen oder Kochrezepte gehe. Microsoft wird in alle Ecken der Welt vorstoßen, um jeden Menschen als beruflichen und Privaten Nutzer zu unterstützen, gibt Nadella als Devise aus.
Die Realität ist, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen sich daran gewöhnt haben, ohne Microsoft-Produkte auszukommen. Sicher, in den Büros surren zumeist noch Windows-Rechner. Aber unterwegs greifen die meisten zu Smartphones mit Googles Android oder iPhones von Apple.
Microsofts System Windows Phone hängt beim Marktanteil nach wie vor im einstelligen Prozentbereich fest. Bei Tablets versucht Microsoft mit Nachdruck, sein Surface zugleich als Notebook-Ersatz zu etablieren, wie das ausgeht, ist noch offen. Microsofts Office-Software kam erst mit dem Amtsantritt Nadellas vor wenigen Monaten erstmals auf iPhone und iPad - bisher füllte neben Apples eigenen Angeboten Software anderer Entwickler die Lücke aus.
Microsoft dominiert mit seiner Windows-Plattform zwar nach wie vor das PC-Geschäft, doch die große Masse machen inzwischen andere Geräte aus. Pro Jahr wird mehr als eine Milliarde Smartphones verkauft - und nur rund 300 Millionen Personal Computer. Für kommendes Jahr wird erwartet, dass erstmals mehr Tablets als Notebooks und Desktop-Rechner verkauft werden.
Microsoft hat sich der neuen Realität lange verschlossen. Erst lachte Nadellas Vorgänger Steve Ballmer 2007 öffentlich das iPhone aus, dann wollte er höchstens den Anbruch einer „PC-Plus“-Ära eingestehen, in der Computer immer noch im Mittelpunkt stünden. In der Zwischenzeit setzte Google auf Büroanwendungen aus der Cloud, Apple rückte mit iPhone und iPad auch ohne die Office-Apps in Unternehmen vor und Amazon wurde zu einem mächtigen Infrastruktur-Lieferanten für Online-Dienste.
In einem Interview mit dem Technologie-Blog „The Verge“ betonte Nadella, das Rennen sei aus seiner Sicht aber noch nicht gelaufen. Es würden zwar mehr Smartphones als PCs verkauft und er sei sich des Unterschieds zwischen einer Milliarde und 300 Millionen Geräten bewusst. „Aber 300 Millionen sind 300 Millionen.“ Für den Konzern sei es jetzt entscheidend, die Verbraucher zu überzeugen, dass sie Microsoft eine Chance auch in ihrem privaten Alltag geben.
Nadellas neuer Kurs bräuchte nicht unbedingt eine eigene Mobil-Plattform wie Windows Phone und nicht unbedingt den von Ballmer für 3,7 Milliarden Dollar gekauften Handy-Hersteller Nokia. Nadella führte früher Microsofts Cloud-Geschäft, er ist so etwas wie der Botschafter der neuen Welt innerhalb der Führungsriege in Redmond. So hatte er auch keine Scheu, Ballmers Definition durchzustreichen, Microsoft sei ein Anbieter von „Geräten und Diensten“ einfach durchzustreichen. Nadellas Microsoft soll eine Plattform für alle Geräte und Dienste aller Anbieter sein.
Das Technologie-Magazin „Wired“ vermisste jedoch einen konkreten Plan hinter Nadellas Worten. Als Apple Mitte der 90er Jahre am Boden lag, habe Steve Jobs den iMac als Symbol für den Neuanfang präsentieren können. In Nadellas sechsseitigem Brief habe es hingegen wenig konkrete Informationen gegeben, die die Microsoft-Mitarbeiter mobilisieren könnten.