Analyse: Wie Touchscreens in Autos den Tastsinn verdrängen
Berlin (dpa) - Wer heute auf dem Fahrersitz eines Autos platznimmt, sitzt zunehmend in einer Multimediazentrale. Immer mehr Funktionen und Einstellmöglichkeiten stehen zur Verfügung.
Die jüngst bekanntgegebene Kooperation von Apple und mehreren Autobauern ist ein deutliches Zeichen dafür, dass auch weitere Anwendungen aus der Unterhaltungselektronik in die Fahrzeuge Einzug halten werden. Die Autokonzerne buhlen um jüngere Käufer, das Durchschnittsalter ist in Deutschland auf über 50 Jahre gestiegen.
Doch wie soll all das bedient werden? Jahrelang bauten die Autofirmen immer mehr Knöpfe ein, was Mittelkonsolen Flugzeug-Cockpits immer ähnlicher werden ließ. Diese werden nun durch Touchpads ersetzt, in denen durch ein Menü navigiert werden kann. Was für Designer und Hersteller neue Möglichkeiten bietet, könnte jedoch auch ein Sicherheitsrisiko darstellen, wie verschiedene Experten meinen.
Ist die Aufmerksamkeit durch die vielen Multimedia-Möglichkeiten ohnehin schon strapaziert, so wird nun durch die Touchpads auch noch der Tastsinn zurückgedrängt. Glatte Oberflächen, wie wir sie von Smartphones oder Tablets kennen, ersetzen das haptische Feedback.
„Carplay von Apple und andere Multimedia-Systeme entsprechen dem Trend zur Vernetzung. Die Akzeptanz bei den Nutzern ist dafür sicherlich sehr hoch“, sagt Christian Hatzfeld, der an der Technischen Universität Darmstadt das Tasten erforscht.
„Es stellt sich die Frage, ob Touchscreens im Auto gut für die Sicherheit sind. Studien zeigen, dass mit haptischer Rückmeldung weniger Fehler gemacht werden. Sie sind intuitiver und schneller zu bedienen.“
Wenn Touchscreens in Autos integriert würden, so müsse die Vielzahl an Informationen sinnvoll kanalisiert werden. Der Fahrer muss ohne Ablenkung Einstellungen vornehmen können. Wenn aber auf der glatten Oberfläche nicht zu ertasten ist, ob der Fahrer eine neue Route eingibt oder einen Anruf tätigen will, könnte das zum Problem werden.
Bei den Herstellern sieht man das anders. „Wir sind davon überzeugt, dass die Touchpads eine gefahrlose und schnelle Bedienung ermöglichen“, erklärt Daimler-Pressesprecher Steffen Schierholz und betont die neuen Möglichkeiten. Daimlers System lässt sich über einen Drehknopf in der Mittelkonsole bedienen.
Außerdem wird dort stark auf die Sprachsteuerung gesetzt. „Der Gewinn an Komfort ist überwiegend.“ Außerdem seien die Touchpads durchaus intuitiv zu bedienen und würden verschiedene Sinne ansprechen. „Die Fehlertoleranz der Systeme ist sehr gut. Schriftzeicheneingaben werden akustisch wiederholt. So ist es nicht nötig, ständig Augenkontakt zum Display zu halten.“
Den Herstellern scheint bei den immer umfangreicheren Wünschen der Kunden kaum etwas anderes übrig geblieben zu sein, als Touchscreens zu integrieren. Noch mehr Knöpfe wäre kaum möglich gewesen. „Durch den Einbau eines Touchpads in der Mittelkonsole haben wir die Anzahl der Knöpfe im Auto erheblich reduziert“, sagt Schierholz. „Die wichtigsten Menüs sind aber immer noch durch einen Knopfdruck zu erreichen.“
Martin Grunwald, der an der Universität in Leipzig Haptik untersucht, sieht den Einzug dieser Technologie dennoch kritisch. „Wir berauschen uns an der Technik. Wir können Touchpads in Autos einbauen, deshalb machen wir es auch“, so Grunwald. „Was braucht der Mensch aber? Beim Autofahren in erster Linie Konzentration auf die Fahrbahn, keine multimediale Unterhaltung.“ Touchscreens bräuchten permanenten Augenkontakt. „Das ist für die Sicherheit ein großes Problem.“
Dabei zeigen Studien, dass gerade die Verbindung von Sehen, Tasten und Hören für die Konzentration auf das Fahren am besten ist. „Eine Kombination aus visuellem, akustischen und haptischen Feedback ist am geeignetsten, um Fehler zu reduzieren“, schrieb ein internationales Team von Wissenschaftlern der Universität in Pittsburgh.
Selbst wenn nur das Navigationssystem bedient werde, könnte dies zu erheblicher Ablenkung führen. Mehr Einstellungen in die Systeme zu integrieren, erhöhe die ohnehin schon hohe Belastung während des Autofahrens.
Der US-Autobauer Tesla setzte schon vor mehr als einem Jahr groß auf Touchscreens. Im Elektrowagen Model S werden viele Systeme über einen 17-Zoll-Display bedient. Auch dort gab es zunächst Sicherheitsbedenken, einige Testfahrer fühlten sich abgelenkt.
Eine neue Generation von Touchscreens verspricht, zumindest das Problem der visuellen Ablenkung lösen zu können. „Es sind schon Touchscreens mit haptischen Feedback in der Entwicklung, die uns ermöglichen, uns schneller auf Oberflächen zurecht zu finden“, sagt der Forscher Hatzfeld.
„So könnte ich durch den Tastsinn erfahren, ob ich gerade das Radio einstelle oder die Heizung.“ Noch sei solche Technik noch nicht reif für den Massenmarkt, erklärt Grundwald. Er ist jedoch überzeugt davon, dass die Entwicklung in diese Richtung gehe und der Tastsinn wieder mehr Bedeutung gewinnen werde.