Der ganz normale Selfie-Wahn: Merkel, Podolski und Koalas
Berlin (dpa) - Selfies - wohin man blickt. Der Trend zur Selbstfotografie nervt zwar einer Umfrage zufolge immer mehr Menschen. Doch wirklich missen will sie wohl niemand. Und so knipst fast jeder munter drauf los: Fußballer, Hollywood-Stars und Menschen wie du und ich.
Knipsen immer und überall - Selfies verbreiten sich rasend schnell. Die meist mit modernen Smartphones aufgenommenen Selbstporträts sorgen für Rekorde, Skurriles und zeitweise auch für Gefahr. Eine Auswahl:
Titel: Na klar, die Fußballer haben wohl für den ersten Selfie-Rausch gesorgt. Bei der WM in Brasilien knipsten Poldi, Schweini und Co. wie die... ja genau, wie die Weltmeister. Selbstporträts wie jenes von Lukas Podolski mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verbreiteten sich dank Facebook und Twitter rasend schnell, mehr als eine Million Mal. Beliebt auch: der Kabinen-Schnappschuss der ganzen Mannschaft nach dem Finalsieg mit Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck - und natürlich dem Pokal.
Hollywood: Abgesehen von den Fußballern - eines der wohl populärsten Selbstporträts des Jahres stammt von US-Moderatorin Ellen DeGeneres. Ihr Selfie von der Oscarverleihung zwischen zahlreichen Hollywood-Stars wie Angelina Jolie, Julia Roberts oder Brad Pitt wurde millionenfach weiterverbreitet - so häufig, dass es Twitter zeitweilig in die Knie zwang.
Wahlen: Auch Politiker sind anfällig für Selfies, so steckt Bundeskanzlerin Merkel gerne ihren Kopf mit ins Bild. In Indien aber fanden viele Menschen die Aktion ihres jetzigen Premierministers Narendra Modi nicht so gut. Der fotografierte sich am Wahltag mit seinem Parteisymbol Lotusblüte. Doch solche Werbung ist eigentlich verboten. Drei Monate ermittelten die Behörden, schrieben Hunderte Seiten - ehe sie die Sache ablegten. Modi twittert unbeirrt weiter.
Hilfsmittel: Das Selfie-Syndrom hat in Touristenorten ganz neue Geschäftszweige hervorgebracht. Ob vor Tempeln in Thailand oder historischen Bauten in Rom - hier blüht der Handel mit sogenannten Selfie-Sticks. Das sind lange Stangen, mit deren Hilfe man von weiter weg ein noch besseres Selbstporträt schießen kann. Nur wenn es regnet, muss der Tourist wieder selbst die Kamera ausstrecken - denn dann wechseln die Händler flugs auf Regenschirme und -ponchos.
Pionier: Selfies sind ein Hype von heute? Von wegen, behauptet Colin Powell. Er habe schon vor Jahrzehnten Selbstporträts geschossen, betonte der frühere US-Außenminister - und veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite ein gealtertes Schwarz-Weiß-Foto, das ihn als Jugendlichen in weißem Hemd, Weste und mit Krawatte vor einem Spiegel mit einer analogen Kleinbildkamera zeigt.
Jugend: Was Schauspielstars und Profikicker vormachen, ziehen viele Jugendliche natürlich nach. Die Teenager wollen damit auch herausfinden, ob sie für andere interessant sind. Das sollte aber nicht in einen Wettbewerb ausarten und dazu führen, dass Jugendliche anderen ständig etwas Außergewöhnliches bieten wollen, warnen Experten. Vor lauter Posten und Hashtags setzen dürften sie nicht vergessen, die realen Momente zu genießen, sagt Kristin Langer von der Initiative „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht“.
Bitte hier knipsen: Mit Selfies sollen vor allem schöne (Urlaubs-)Erinnerungen festgehalten werden. Und damit der Schnappschuss für Freunde und Familie zu Hause noch besser gelingt, gibt es etwa im Emsland „Selfie Standpunkte“ - markierte Plätze für das perfekte Selbstporträt. Bleibt für den Fotografen nur noch, den richtigen Winkel zu wählen.
Und hier besser nicht: Ganz cool auf der Motorhaube eines Streifenwagens - mit diesem Selfie vor einer Dienststelle der Polizei brachte sich ein junger Mann in Speyer hinter Gitter. Denn als Beamte auf die Aktion des 24-Jährigen aufmerksam wurden, stellte sich heraus: Der Fotograf wurde mit Haftbefehl gesucht.
Königin: Kim am Strand. Kim beim Sport. Kim beim Truppenbesuch. Kim Kardashian (34) ist wohl die unangefochtene Königin der Selbstfotografie. Im April 2015 will der Reality-Star ein Selfie-Buch mit dem naheliegenden Namen „Selfish“ (auf Deutsch: selbstsüchtig) veröffentlichen. Auch die selbst ernannte „Pionierin der Selfie-Bewegung“ sucht dann doch den finanziellen Erfolg in der realen Welt.
Ärger: Die Jagd auf Selfies mit Prominenten treibt zuweilen gefährliche Blüten. Bei der letzten Tour de France - dem größten Radsport-Event der Welt - verursachten Hobbyknipser am Streckenrand in diesem Sommer Massenstürze und trieben die Profis damit zur Weißglut. „A dangerous mix of vanity and stupidity“ (Eine gefährliche Mischung aus Eitelkeit und Dummheit), twitterte zum Beispiel US-Profi Tejay van Garderen.
Peinlich: US-Präsident Barack Obama, die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt und der britische Premierminister David Cameron fotografierten sich bei der Trauerfeier für Nelson Mandela. Geschmacklos - fanden viele. Ebenfalls nicht begeistert war offensichtlich Obamas Ehefrau Michelle. Die First Lady schaute recht pikiert zur Seite.
Museum: Natürlich, ein eigenes Selfie-Museum muss es auch geben - in der virtuellen Welt. Die dänische Künstlerin Olivia Muus hat ihr Handy vor berühmte Gemälde gestreckt, so dass es so aussieht, als wenn sich die Porträtierten selbst fotografiert hätten. Die Idee hat inzwischen etliche Nachahmer gefunden, die ihre Bilder im virtuellen Selfie-Museum posten.
Süüüüüß: Wer sagt denn, dass nur Menschen Selfies knipsen? In Australien posieren die Koalas Bruce und Jay Eukalyptusblätter kauend vor der Kamera. „Die Jungs sind Selfie-verrückt“, behauptet der Wild Life Zoo in Sydney. Die Fans überschlugen sich mit „Oh-wie-süß“-Kommentaren. Allerdings sind die Bilder nicht Selfies im klassischen Sinne, denn die Koalas halten die Kamera nicht in den Tatzen und knipsen sich auch nicht absichtlich selbst. Vielmehr löst ein Bewegungsmelder aus, wenn sich die Tiere der Kamera nähern.