Ein Jahr im Amt: Marissa Mayer wirbelt Yahoo durcheinander

Sunnyvale (dpa) - Eigentlich müsste Marissa Mayer jeden Tag einen ganzen Sack Liebesbriefe von Yahoo-Aktionären bekommen. Seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr hat die Managerin den Aktienkurs mit ihrer forschen Art kräftig in die Höhe getrieben.

Hatte ein Aktionär damals 1000 Dollar angelegt, besitzt er heute etwa 1750 Dollar. So teuer war die Aktie zuletzt im Jahr 2008. Das Online-Werbegeschäft läuft zwar immer noch mau, doch der Gewinn stieg im zweiten Quartal kräftig um 46 Prozent an.

Der Verwaltungsrat von Yahoo hatte am 16. Juli 2012 die Bombe platzen lassen: Googles Vorzeigefrau Marissa Mayer wechselte zu dem wesentlich kleineren Internetpionier. Am Tag darauf trat Mayer ihren Posten an.

Sie fand ein Unternehmen vor, dessen Mitarbeiter von zahlreichen Chefwechseln, internen Machtkämpfen und einem Bedeutungsverlust frustriert waren.

Mayer riss Yahoo aus der Lethargie und bekam ganz nebenbei ihr erstes Kind, den kleinen Macallister. „Ich stehe jeden Morgen gerne auf“, sagte sie am Dienstag bei der Vorstellung der jüngsten Geschäftszahlen. Sie lobte, wie motiviert die Mitarbeiter heute seien.

„Ich habe mir sagen lassen, das war nicht immer der Fall.“ Bis zu 10 000 Bewerbungen gingen pro Woche ein, erzählte sie. Viele ehemalige Yahoo-Mitarbeiter kämen zurück. „Der Motor läuft.“

Dabei dürfte es keine Liebe auf den ersten Blick zwischen der Yahoo-Belegschaft und Mayer gewesen sein. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war es, die Heimarbeiter zurück in die Büro zu beordern. Sie sagt, nur wenn Leute sich von Angesicht zu Angesicht begegnen, entstehen bahnbrechende neue Ideen und Produkte. Mayer trat damit eine Diskussion über die Arbeitswelt von heute los.

Gleichzeitig ging Mayer auf Einkaufstour, um Yahoo mit neuen Ideen zu versorgen. Ihr dickster Fang war die Blog-Plattform Tumblr. Sie holte von Außen auch neue Manager und Entwickler ins Team.

Parallel schloss sie unrentable Bereiche und baute Hunderte Stellen ab. Das alles gefiel sicherlich nicht jedem im Unternehmen, doch selbst ihre Kritiker mussten am Ende einräumen: Mayer hat Yahoo zurück ins Bewusstsein der Nutzer und der Anleger gebracht. Bester Beweis ist der gestiegene Kurs.

Yahoo könne sich glücklich schätzen, Mayer zu haben, sagt ihr alter Chef bei Google, Eric Schmidt. Für den Internetkoloss hatte Mayer die schlichte Suchseite entworfen.

Bei Yahoo versucht sie es nun mit Glamour, um dem Urgestein der Branche eine neue Richtung zu geben. Mayer lässt kaum eine Gelegenheit aus, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und für ihr Yahoo zu werben.

Die Managerin musste sich allerdings auf der jüngsten Hauptversammlung anhören, ihre Strategie greife zu kurz. „Bei der Suche ist Google Lichtjahre voraus“, sagte ein Aktionär. „Bei Banner-Werbung wächst Facebook viel schneller.“ Denn bei aller öffentlichen Euphorie läuft der Geldbringer - das Werbegeschäft - immer noch mau. Im ersten Halbjahr musste Yahoo einen Umsatzschwund hinnehmen.

Mayer warnte aber davor, sie und ihre Truppe von 11 500 Leuten zu unterschätzen - zumal sie mit der 24-prozentigen Beteiligung am erfolgreichen chinesischen Internetkonzern Alibaba noch ein Ass im Ärmel hat. „Yahoo ist das weltgrößte Startup“, entgegnete sie dem kritischen Aktionär. Mit ihrem Umbau bei Yahoo hat die Managerin gerade erst begonnen.