Enthüllungsplattform: Wie lese ich Wikileaks richtig?
Berlin (dpa/tmn) - Mehr als 250 000 vertrauliche Berichte aus US-Botschaften und -Konsulaten stellt Wikileaks in diesen Tagen online. Damit jeder die Dokumente lesen kann, hat die Enthüllungsplattform eine eigene Unterseite eingerichtet: http://cablegate.wikileaks.org.
„Suchen Sie nach Ereignissen, an die Sie sich erinnern, die zum Beispiel in Ihrem Land passiert sind“, rät Wikileaks Suchenden zum Einstieg in den Datenwust. Dokumente können zum Beispiel anhand ihres Erstellungsdatums oder mit dem Namen der Stadt, in der eine US-Vertretung eine Depesche zu einem bestimmten Ereignis oder einer bestimmten Person erstellt haben könnte, durchsucht werden. Wer sich zum Beispiel für Berichte aus dem US-Generalkonsulat München interessiert, klickt im linken Navigationsbereich der Seite unter „Browse by origin“ auf den Buchstaben M und dann auf den Link Embassy Munich.
Daraufhin erscheinen - unter anderem nach einer kurzen Inhaltsbeschreibung (Subject) und Datum (Date) sortiert - die Suchergebnisse. Um ein Dokument zu öffnen, klickt man auf die sogenannte Reference ID, die Wikileaks jedem Bericht zugeordnet hat, zum Beispiel 10MUNICH29. In diesem Dokument steht, dass der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ein unberechenbarer Politiker („unpredictable politician“) sei.
Wer nach Depeschen aus einem bestimmten Jahr suchen möchte, hat dazu ebenfalls links im Navigationsbereich unter „Browse by creation date“ die Möglichkeit. Für Januar 2010 klickt man zum Beispiel zunächst auf 10, dann auf 2010/01. Unter „Browse by tag“ ist es möglich, in den Dokumenten nach Schlagworten und Abkürzungen zu suchen, die das US-Außenministerium verwendet. Wer zum Beispiel den Buchstaben N ansteuert, findet unter anderem die Nato. Auch eine Suche nach der Geheimhaltungsstufe (classification) ist möglich.
Kennt man die verschiedenen Abkürzungen nicht, ist es einfacher, die „Cablegate“-Seite per Google zu durchsuchen. Dazu gibt man in der Suchmaschine site:cablegate.wikileaks.org plus den Suchbegriff ein, also zum Beispiel site:cablegate.wikileaks.org Seehofer.
Die Zahlen- und Buchstabenkombinationen im Kopf der Depeschen haben laut „Spiegel“ folgende Bedeutung - hier erklärt am Beispiel des Seehofer-Dokuments:
- In der ersten Zeile, die mit VZCZC beginnt und mit einer Nummer endet, steht die Übertragungskennung.
- In der zweiten Zeile stehen die Priorität der Depesche und die Adressaten: 00 steht zum Beispiel für unverzüglich, ZZ für Blitzmeldung, PP für Priorität und RR für Routine. Bei den Buchstabenkolonnen wie RUEHDBU oder RUEHSR handelt es sich um Empfängeradressen im Netzwerk des US-Außenministeriums.
- In der dritten Zeile ist der Urheber und Absender des Berichts ersichtlich. DE bedeutet „von“, RUEHMZ ist die Netzwerkadresse des Generalkonsulats in München. Am Ende der Zeile steht der Übermittlungszeitpunkt: 047 steht für den 47. Tag im Jahr, also den 16.02.2010, die letzten vier Ziffern - hier 0858 - stehen für die Sendezeit in Greenwich Mean Time (GMT).
- In der vierten Zeile findet sich die Geheimhaltungsstufe der Depesche. ZNY bedeutet, dass die Nachricht über eine sichere Leitung gesendet werden muss. CCCCC steht für confidential (vertraulich), SSSSS würde secret (geheim) bedeuten.
- Die fünfte Zeile ist noch ein Datumszeile. O steht wieder für unverzüglich, 16 für den Tag, 0858 die Zeit und Z für Zulu time zone, was gleichbedeutend mit GMT ist.
- In der sechsten Zeile steht noch einmal der Absender im Klartext, also das US-Generalkonsulat München.
- Die siebte Zeile ist für den Empfänger im Klartext reserviert, in diesem Falle das US-Außenministerium (RUEHC/SECSTATE) in Washington.
- Stellen, die über die Depesche informiert werden sollen, stehen in Zeile acht und den folgenden Zeilen.
- Mit einem abgerückten „C O N F I D E N T I A L“ wird die Geheimhaltungsstufe noch einmal aufgegriffen. Dahinter folgt die Information, dass nur die Abschnitte 1 und 2 der Depesche vertraulich sind.
- SIPDIS bedeutet, dass der Bericht über das „Secret Internet Protocol Router Network“ verschickt worden ist, das US-Außen- und Verteidigungsministerium zur Übermittlung von Geheiminformationen nutzen.
- Taucht in einer Depesche die Abkürzung NOFORN (Not Releasable to Foreign Nations) auf, bedeutet das, dass Ausländer das Dokument nicht sehen dürfen.
- Hinter E.0. 12958 ist die Geheimhaltungsfrist vermerkt, in diesem Fall also der 12. Februar 2020.
- TAGS stehen für Traffic Analysis by Geography and Subject. Jede Depesche muss mindestens eine solche Kategorisierung enthalten. PREL steht für auswärtige politische Beziehungen, PGOV für interne Regierungsangelegenheiten.
- Classified By zeigt an, wer die Geheimhaltung angeordnet hat - hier der US-Generalkonsul in München, Conrad Tribble.