Flirthilfe für Schüchterne: „Spotted“ ist der Netztrend
Hannover (dpa/lni) - „Deine beige Bommelmütze wippte beim Gehen und versetzte mein Herz in Schwingungen“: Auf „spotted“-Seiten im Internet kann jeder nach dem kürzlich gesichteten Traumpartner suchen lassen - und das anonym.
Die neue Flirtmethode ist aber umstritten.
Seit Stunden brütet Faruk über seinem Lehrbuch, draußen ist bereits die Nacht über Hannover hereingebrochen. Pauken für das Maschinenbaustudium in der Uni-Bibliothek. Sein Blick ist auf die Lektüre gerichtet, doch Faruk weiß, dass er an der Uni auch selbst das Ziel von Blicken ist - so hat der 23-Jährige schließlich seine Verlobte kennengelernt. „Im Hauptgebäude der Uni haben wir uns zum ersten Mal gesehen“, erzählt der Student. Die junge Dame anzusprechen hat er sich damals nicht getraut - womöglich war sie ja schon vergeben. Erst über Freunde fanden sie sich wieder. Heute hätte es Faruk vielleicht einfacher. An deutschen Universitäten macht sich seit wenigen Wochen ein neuer Trend breit. Er heißt „Spotted“ und soll Studenten helfen, ihren Schwarm aus Vorlesung oder Bibliothek auch anzusprechen.
Auf „spotted“-Seiten können Nutzer eine Art anonyme Kontaktanzeige veröffentlichen. Wenn ein anderer den Gesuchten kennt, kann er einen Hinweis geben. Die Seiten boomen, haben Tausende Fans - in Deutschland gibt es sie inzwischen für viele Universitäten, unter anderem in München, Hannover, Frankfurt, Hamburg und Dresden.
Wer sich in jemanden verguckt hat, kann eine Nachricht an eine „Spotted“-Seite bei Facebook schicken - etwa an „Spotted: University of Hannover“, die mittlerweile über 2000 Fans hat. „Spotted“ heißt so viel wie „entdeckt“. Die Liebesgrüße reichen von verspielten Andeutungen bis zu eher direkten Ansprachen. Etwa „An den Bücherwurm in der "Alten Münze", der zwischen 14.30 und 15.30 im 1. OG die Bücher im Regal nicht im Griff hatte - vielleicht hast du mich ja besser im Griff“ oder „Manchmal sehe ich dich dienstags in der Mensa. Du schaufelst dein Essen so schnell in dich hinein, dass ich total fassungslos bin.“
Wer sich angesprochen fühlt, kann sich bei den Seitenbetreibern melden. Sie bringen dann Suchende und Gesuchte zusammen. Einer dieser Betreiber ist Nik Myftari. Der 27-Jährige verwaltet zusammen mit vier Freunden mehrere „Spotted“-Seiten. Den Anfang machten seine Heimat-Uni Heidelberg, Göttingen, Kiel und Würzburg. „Ich glaube, Akademiker mögen es, wenn man nicht zu direkt rangeht“, meint Myftari. Seit kurzer Zeit hat die Clique auch eine eigene Homepage bibflirt.de programmiert, die das Prinzip übernimmt.
„Wir hatten nach einem Wochenende bereits 200 000 Seitenbesuche“, sagt Myftari. Manchmal schlafe er nur drei Stunden pro Nacht, um alle Kontaktanzeigen bearbeiten zu können. „Ich glaube, dass "Spotted" nur eine logische Fortführung unserer Lebensart ist“, sagt Kai Strehler, der ebenfalls mit Freunden mehrere „Spotted“-Seiten verwaltet, unter anderem in Osnabrück, Leipzig und Dresden. „Wir beenden Beziehungen über das Internet, wir können sie auch dort beginnen“, sagt der Student der Medienwissenschaft aus Ilmenau. „Vor allem Osnabrück boomt gerade - ich weiß auch nicht recht warum.“
Datenschützern ist der Boom alles andere als geheuer. Rainer Gerling, Experte für Datenschutz an der Münchner Hochschule für Angewandte Wissenschaften, hält die „spotted“-Seiten für problematisch. „Auch wenn man in bester Absicht schreibt und meint, man würde nur unverfängliche Informationen preisgeben, kann das für den Einzelnen fatale Folgen haben.“ Zum Beispiel, wenn der Arbeitgeber die Anzeige sieht und feststellt, dass der Gesuchte ein Mitarbeiter ist, der sich krankgemeldet hatte - und nun in der S-Bahn gesehen wurde. Das Problem sei vor allem die große Reichweite der Seiten, aber auch, dass die Anfragen über einen langen Zeitraum abrufbar seien. Gerling rät deshalb, vor jeder Nachricht an solche Seiten sehr sorgfältig nachzudenken, was man schreibt.
Bei vielen Suchanzeigen fällt es tatsächlich schwer, jemanden wiederzuerkennen. Nur leidlich eindeutig ist etwa der Kommentar auf „spotted: Stabi München“: „An den Kreuzberg-Pulli-Träger: Dank dir konnte ich mich heute nicht mehr auf mein Lernen konzentrieren, du bist das Interessanteste, was diese Uni zu bieten hat ...“ Meist beschränkt sich die Beschreibung jedoch auf „den heißen Typen“ oder „die Süße mit den Glitzerschuhen“.
Deshalb sieht sich das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht auch nicht zuständig für die Seiten in Bayern wie etwa „Spotted: Stabi München“. „Eine reine Beschreibung reicht nicht aus für einen konkreten Personenbezug. Bei den "spotted"-Seiten sehen wir diese Schwelle nicht überschritten“, sagt Referentin Miriam Meder. Aber: Wer sich in einer Beschreibung wiedererkennt, hat das Recht, sie von den Betreibern löschen zu lassen. Das betrifft wohl vor allem einige „spotted“-Ableger, die zu Lästereien aufrufen. Die Suche nach dem Traummann oder der Traumfrau über das Social Web kann also weitergehen.
Eine deutsche Erfindung ist „Spotted“ nicht. An britischen Unis gibt es die Seiten schon länger, auch in Österreich wird bereits digital geflirtet. Ob und sich damit Geld verdienen lässt, wissen die Macher in Deutschland noch nicht. Zurzeit profitiert natürlich vor allem der US-Konzern Facebook von „Spotted“. „Vorerst machen wir das als Wohltat an der Menschheit“, meint Strehler schmunzelnd.
Ein wenig Antrieb könnte Amor in Deutschland schon vertragen. Nach einer Allensbach-Umfrage ist ein Drittel der Bevölkerung Single, aber nur zehn Prozent sind es aus Überzeugung. Ob die neuen Flirtseiten daran etwas ändern können, bleibt abzuwarten. Die Biochemie-Studentin Christina winkt ab. Sie ist gerade auf dem Weg in die Bibliothek der Uni Hannover und erwartet keine versteckten Kontaktanfragen. Zum einen, weil die 22-Jährige bereits vergeben ist. Zum anderen, weil sie die Akademiker gar nicht für so schüchtern hält: „Ich finde, an der Uni gibt es genügend aufdringliche Männer.“