Google-Autoentwickler: Es wäre dumm, die Autobauer zu kopieren
Frankfurt/Main (dpa) - Sein kleines Roboterauto schickte Google nicht zur IAA nach Frankfurt - aber Projektchef Chris Urmson.
Er sprach mit der Deutschen Presse-Agentur am Rande der Automesse unter anderem über die Entscheidung, ganz auf Lenkrad und Pedale zu verzichten, und warum Google nicht selbst zum Hersteller werden wolle.
Frage: Herr Urmson, Sie betonen häufig, Google wolle kein Autobauer werden, sondern Fahrzeuge in Kooperation mit der Autoindustrie entwickeln. Was sollte man sich darunter vorstellen: Ein kompletter Bauplan, nach dem die Hersteller fertige Wagen produzieren können - oder könnten Sie auch einzelne Funktionen vermarkten, wie etwa Auswertung von Sensor-Daten?
Antwort: Wir sind noch dabei, es herauszufinden. Wir wissen, dass es Unternehmen gibt, die seit 100 Jahren Autos bauen. Es wäre dumm von uns, wenn wir versuchen würden, sie zu kopieren. Diese Firmen machen einen großartigen Job, sie kennen ihre Kunden. Und ich denke, dass es für uns der richtige Weg ist, mit ihnen zusammenzuarbeiten - um festzulegen, wie die Autos sein sollten und die nächste Phase der Mobilität einzuläuten.
Frage: Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte vor kurzem, für ihn sei denkbar, dass man in Gemeinschaftsunternehmen mit Tech-Firmen wie Google Fahrzeuge entwickelt, die von der Autobranche dann gebaut werden. Wäre das für Sie ein attraktives Modell?
Antwort: Daimler ist eine großartige Marke und Mercedes war schon immer an vorderster Front bei Fahrassistenzsystemen. Eine Partnerschaft mit ihnen wäre für uns sehr interessant. Wie genau dabei die Struktur sein könnte, darüber müsste man an einem gewissen Punkt reden.
Frage: Sollte man davon ausgehen, dass Google eigentlich kein einzelnes selbstfahrendes Auto entwickeln, sondern eher ein ganzes automatisiertes neues Verkehrskonzept für Städte?
Antwort: Ich denke, heute trifft das so nicht zu. Wir sehen, dass die Technologie - wenn sie erst einmal robust funktioniert - ein enormes Potenzial für neue Formen von Mobilität hat. Gerade bei uns in den USA ist der öffentliche Personen-Nahverkehr nicht so, wie er sein sollte. Aber wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem wir ein neues Verkehrs-System entwickeln.
Frage: Wir schwer fiel Ihnen der radikale Schritt, bei ihrem eigenen selbstfahrenden Fahrzeug auf das Lenkrad und die Pedale zum Gasgeben und Bremsen zu verzichten?
Antwort: Es war eine schwierige Entscheidung. Aber wir haben bei Tests unserer selbstfahrenden Fahrzeuge auf Autobahnen festgestellt, wie schwer es den Insassen fiel, sich noch auf den Verkehr zu konzentrieren. Wir mussten uns überlegen, wie wir darauf reagieren. Die offensichtliche Lösung ist, den Fahrer zu beobachten und zur Aufmerksamkeit zu zwingen. Eine Menge Leute arbeiten in diese Richtung. Aber wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, das Leben der Menschen besser zu machen, indem wir die Mobilität verändern. Und dieser Beobachtungs-Ansatz hilft nicht den Leuten, die heute überhaupt nicht Autofahren können, Blinden zum Beispiel. Wir haben das Erlebnis von diesem Ausgangspunkt gedacht. Im Flugzeug haben wir an den Passagiersitzen ja auch keinen Steuerknüppel. Das trifft im Auto genauso zu: Wenn es darum geht, jemanden von A nach B zu bringen, können wir die Symbole des manuellen Fahrens abschaffen.
Frage: Spiegelt die Entscheidung auch wider, dass der Computer gerade in Notsituationen sicherer agiert als der Mensch?
Antwort: Nicht ganz, aber wenn sie in einem Auto sitzen, dass die ganze Zeit von allein alles richtig macht, schwindet Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie sich dann plötzlich ins Verkehrsgeschehen einschalten müssen, haben Sie nicht den Überblick über die Situation, wie Sie ihn üblicherweise hätten.
Frage: Angenommen, kein Autobauer nimmt Ihr Kooperationsangebot an. Und Sie haben irgendwann dieses marktreife System für eine autonome Mobilität - würde Google es sich dann überlegen und doch noch selbst zum Hersteller werden?
Antwort: Ich sehe die Ausgangssituation der Frage so nicht. Wir sprechen intensiv mit Autoherstellern und so viele von ihnen denken vorausschauend, sehen die Herausforderungen, die vor uns als Gesellschaft liegen. Viele - wenn nicht alle - erkennen, dass das Verkehrswesen sich verändern muss.
Frage: Bei den kleinen Unfällen, in die vom Computer gesteuerte Google-Autos verwickelt waren, lag die Schuld bei den menschlichen Fahrern in den anderen Fahrzeugen. Steht uns eine stressige Übergangszeit bevor, weil es eine Herausforderung ist, wenn sich Computer und Menschen die Straße teilen?
Antwort: Ganz sicher nicht, nein. In den Unfall-Situationen spielte keine Rolle, dass die Autos autonom fuhren, sie verhielten sich genauso wie herkömmliche. In drei Fällen standen unser Auto und der Wagen hinter uns - und dann fuhr der Fahrer des hinteren Fahrzeugs plötzlich los.
Frage: Und ist es auch kein Problem, dass ein selbstfahrendes Fahrzeug vorsichtiger und verantwortungsvoller fährt als menschliche Fahrer daneben?
Antwort: Ich sehe kein Problem darin. Es ist aber auch eine gesellschaftliche Frage. Unsere Autos halten sich eben an die Geschwindigkeits-Vorgaben. Wenn unser Auto an einer Schule vorbeifährt, wo die erlaubte Höchstgeschwindigkeit 25 Meilen pro Stunde beträgt, fährt es nicht schneller. Menschen könnten dort auch mit 35 oder 40 Meilen pro Stunde unterwegs sein - und manche ärgern sich, wenn sie unserem Auto hinterherschleichen. Aber für mich ist es besser, wenn ein Auto korrekt und verantwortungsvoll fährt.
Frage: Derzeit gibt es viele Diskussionen über ethische Fragen der Software, etwa, wenn das Auto bei einem unvermeidbaren Unfall entscheidet, mit wem es kollidiert. Wie denken Sie darüber?
Antwort: Es ist sehr wichtig, über diese Frage nachzudenken. Wir glauben zwar, dass wir viele dieser Situationen vermeiden werden, in denen man nicht gewinnen kann. Aber unweigerlich wird es einige geben. Die richtige Lösung ist, offen zu sagen, wie das Auto vorgehen wird. In unserem Fall versucht das Auto zuallererst, Fußgängern und Radfahrern auszuweichen. Dann vermeidet es den Kontakt mit anderen fahrenden Fahrzeugen. Und erst an dritter Stelle kommen stillstehende Objekte wie Bäume.
Frage: An einem gewissen Punkt wird also ein Algorithmus entwickelt, der darauf getrimmt ist, den Verlust menschlicher Leben zu minimieren?
Antwort: Es geht darum, das beste aus einer Situation zu machen. Was bei diesem Thema oft vergessen wird: Ein Mensch am Steuer trifft heute in Unfallsituationen oft keine Entscheidungen auf Basis hoher moralischer Überlegungen. Dafür ist einfach die Zeit zu knapp. Es sind instinktive Reaktionen, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein können. In unserem Fall können wir erklären, welche Prioritäten das System setzt und die Menschen können entscheiden, ob sie die Autos nutzen möchten.
Frage: Was sind die großen noch ungelösten Herausforderungen beim autonomen Fahren?
Antwort: Für uns ist es derzeit, noch robuster und zuverlässiger zu werden. Das System funktioniert, wir fahren jede Woche 10 000 Meilen damit. Die Frage ist, wie findet man die Balance, dass es vorsichtig genug ist, um Unfälle zu vermeiden, aber zugleich flüssig unterwegs ist - alles mit dem Ziel, einen höheren Sicherheitsstandard als bei menschlichen Fahrern zu erreichen.
Frage: Was ist mit Regen und Schnee?
Antwort: Wir kommen ja aus Kalifornien, wo das Wetter eher sehr freundlich ist. Im Moment konzentrieren wir uns darauf, dass die Autos unter diesen Bedingungen gut funktionieren. Aber wir sehen keine grundsätzlichen Herausforderungen auch bei schlechterem Wetter.
Frage: Ihre Autos sind bisher nur in der Google-Heimatstadt Mountain View und Austin in Texas unterwegs. Wie lange dauert es, eine neue Stadt zu erschließen?
Antwort: Unsere Fahrzeuge greifen auf Karten-Daten zurück. Also müssen wir erst die Straßen abfahren, um hochpräzise Karten zu erstellen. Das braucht etwas Zeit. Aber an sich streben wir an, dass die Fahrer-Software der Autos universell einsetzbar ist. Sicher, der Verkehr etwa in Rom ist ganz anders als in Mountain View. In Städten mit relativ niedrigem Verkehrsaufkommen und moderner Infrastruktur dürften wir aber keine Probleme haben. Irgendwann werden wir auch in Rom fahren können - aber wir sind noch nicht soweit.
Frage: Dass Ihr Bereich mit dem Automanager John Krafcik einen neuen Chef im Rang eines CEO bekommen hat - ist das ein Hinweis darauf, dass Sie eine eigenständige Firma unter dem Dach der neuen Alphabet-Holding sein werden?
Antwort: Wir denken, dass es irgendwann so sein kann - aber es gibt keine Pläne für die unmittelbare Zukunft.
Frage: Wie wichtig ist für autonomes Fahren, dass die Autos untereinander vernetzt sind?
Antwort: Unsere Fahrzeuge habe die nötige Computertechnik an Bord. Die Autos kommunizieren zugleich miteinander - etwa um sich gegenseitig vor Baustellen zu warnen. Vernetzte und selbstfahrende Fahrzeuge sind unterschiedliche Dinge - auch wenn es von Vorteil ist, wenn man das verbindet.
Frage: In der deutschen Autobranche wird damit gerechnet, dass einzelne Funktionen autonomer Fahrzeuge Schritt für Schritt in den Markt kommen. Bei Ihnen ist es gleich ein komplettes Auto. Sind Sie darauf angewiesen, dass die Autobauer die Gesellschaft auf selbstfahrende Fahrzeuge vorbereiten?
Antwort: Ich denke, dass die Gesellschaft bereits ziemlich großes Interesse hat. Es gibt Leute, die fahren sehr gern selbst, ich gehöre manchmal dazu. Aber es gibt sehr viele Menschen, für die geht es nur darum, zwischen Zuhause und Arbeit zu pendeln oder von einem Ort zum anderen zu kommen. Sie würden es vorziehen, nicht die ganze Zeit lenken zu müssen.
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Frage: Merken Sie einen Unterschied im Vergleich zum Stand vor einigen Jahren?
Antwort: Absolut, wie Tag und Nacht. Man sieht schon jeden Monat Fortschritte darin, wie gut das Auto einzelne Verkehrssituationen meistern kann.
Frage: Haben Sie jetzt einen anderen Blick auf den Verkehr, wenn Sie selbst am Steuer sitzen oder bei anderen Menschen mitfahren?
Antwort: Ich denke oft: Das ist aber eine komplexe Situation. Für mich sind es vor allem Spurwechsel. Unsere Autos haben einen 360-Grad-Blick. Und wenn ich selbst am Steuer bin, mache ich mir auf einer mittleren Autobahn-Spur Sorgen, dass jemand plötzlich vor mir auftauchen könnte, während ich mit dem Schulterblick den toten Winkel checke.
Frage: Wenn Sie die Wahl zwischen einem herkömmlichen Taxi und einem ihrer Autos hätten, was nehmen Sie?
Antwort: Heute würde ich mich noch für den Taxi-Fahrer entscheiden - aber ich freue mich darauf, selbstfahrende Autos im Alltag zu nutzen.
Frage: Wie lange wird das dauern?
Antwort: Es ist eine komplexe Technologie und wir wollen keine willkürlichen Prognosen abgeben. Aber: Mein ältester Sohn ist gerade 12 geworden. Mit 16 kann er in den USA einen Führerschein bekommen - und das Ausbildungsprogramm ist grässlich. Das Ziel meines Teams ist, selbstfahrende Autos zu haben, bevor er einen Führerschein machen muss.
ZUR PERSON: Chris Urmson leitet seit 2009 Googles Projekt zur Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge. Der Computeringenieur, der auch Doktor der Philosophie ist, machte sich zuvor einen Namen im Roboterwagen-Team der Universität Carnegie Mellon. Wenn demnächst der Automanager John Krafcik als CEO die Führung des Google-Projekts übernimmt, soll Urmson weiter die Entwicklung leiten.