Ich teile, also bin ich - Warum Videos zum Virus werden
Stuttgart (dpa) - Videos wie „First Kiss“ oder „Supergeil“ verbreiteten sich wie Lauffeuer im World Wide Web. Aber was genau macht Clips zu Internet-Hits? Und vor allem: wer?
Um ein Virus zu verbreiten, braucht es heute nur ein Video und ein paar Klicks. Ein Filmchen mit Fremden, die sich zum ersten Mal küssen? Wird schnell bei Twitter empfohlen. Ein Film mit einer Studentin, die auf einem Poetry Slam über das Thema Mut sinniert? Wird - zack - bei Facebook geteilt. Videos mit besonders berührenden oder lustigen Inhalten verbreiten sich im Netz momentan rasend schnell. Wie ein Virus eben. Aber warum eigentlich?
„Wir profilieren uns über das, was wir teilen“, erklärt Medienforscher Sebastian Buggert vom Kölner Rheingold-Institut. „Außerdem ist teilen einfacher, als selbst etwas zu produzieren.“ Wer ein lustiges Video empfehle, habe nicht selten die Hoffnung, sich selbst als ebenso witzig zu präsentieren. „Sie können ihren Humor darüber ausdrücken“, sagt Buggert. „Oder zeigen: Ich bin findig.“
Etwas gefunden haben im Netz zuletzt so einige: Allein das Werbevideo „ First Kiss“, das die Künstlerin Tatia Pilieva für das Modeunternehmen Wren gedreht hat, wurde bei Youtube fast 80 Millionen Mal angeklickt. Zehn Fremde küssen sich darin - anscheinend - zum ersten Mal. Wochenlang lief dieser Film in Sozialen Netzwerken wie Facebook oder dem Kurznachrichtendienst Twitter hoch und runter.
Zwar lässt sich auf der Videoplattform Youtube nicht prüfen, wie oft die Inhalte mit anderen geteilt werden. Die hohe Zahl der Aufrufe gibt aber Aufschluss darüber, wie viele Menschen auf „First Kiss“ aufmerksam gemacht wurden.
„Häufig läuft das auch über eine prominente Platzierung, für die die Macher sorgen und teils auch bezahlen“, sagt Experte Buggert. Gerade Unternehmen steuerten ihre Inhalte so, dass sie möglichst viele Menschen erreichten.
Tatsächlich stecken hinter Internet-Hits nicht selten große Konzerne. Ein Beispiel ist das Video „ Supergeil“, in dem der Künstler Friedrich Liechtenstein für Edeka wirbt. Liechtenstein badet darin unter anderem in der Milch des Lebensmittelhändlers und wiederholt mantra-artig, wie „supergeil“ dessen Produkte seien.
Warum das so viele Menschen geteilt haben? „Der Witz ist, dass ein älterer Herr noch so eine Performance abliefern kann“, erklärt Medienforscher Buggert. Der Künstler könne damit auch für den Konzern selbst stehen, dem man solch unkonventionelles Auftreten eher nicht zugetraut habe. Medienwissenschaftler Guido Zurstiege von der Uni Tübingen erklärt den Hype so: „Die ganze Form zitiert Werbung und bricht mit unseren Erwartungen.“
Doch nicht hinter jedem Internet-Hit steckt ein Unternehmen. Ein Beispiel ist das Video mit der jungen Poetry-Slammerin Julia Engelmann. Der Mitschnitt ihres Auftritts bei einem Dichterwettstreit an der Uni Bielefeld, bei dem sie dazu aufruft, mutiger zu sein, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Netz und machte sie so bundesweit bekannt.
Ein anderes Beispiel ist „ Kony 2012“. Die amerikanische Organisation Invisible Children (Unsichtbare Kinder) veröffentlichte es vor zwei Jahren, um nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Joseph Kony zu fahnden. Auf Youtube wurde es trotz seiner Länge von fast 30 Minuten mittlerweile rund 100 Millionen Mal abgerufen.
Wer dieses Video teile, erklärt Buggert, sehe möglicherweise auch die Chance, sich selbst „als gut darzustellen und Teil einer mächtigen und scheinbar sinnvollen Bewegung werden.“ Ein Patentrezept, um aus einem Video einen Virus zu machen, gebe aber nicht. Generell gelte: „Es muss die Leute ansprechen, sie berühren und auffallen.“
Doch egal ob Werbespot, Kampagne oder Zufallsprodukt: An die Aussicht, auf Facebook und Co zig Mal dasselbe Video empfohlen zu bekommen, müssen wir uns wohl gewöhnen: „Je mehr geteilt wird, desto selbstverständlicher wird es“, sagt Medienforscher Buggert. Durch soziale Medien sei es mittlerweile leicht, Inhalte zu empfehlen: „Teilen gehört hier zum Programm.“