Immer mehr Mitmach-TV - Der Trend zum „Second Screen“
Berlin (dpa) - Twittern beim „Tatort“ oder Googlen beim Jauch-Quiz: Viele nutzen TV und Internet zeitgleich. Eine spannende Arte-Serie greift den Trend zum „Second Screen“ auf - und wagt ein Psychogramm der digitalen Gesellschaft.
Kate verliert sich im Strudel der Möglichkeiten. Freundschaften? „Ich glaub', ich habe nie welche geführt“, sagt sie ihrer Therapeutin. „Ich habe vorliebgenommen mit den Menschen, die sich mir angeboten haben.“ Die junge Frau sitzt in der Nervenklinik und klickt sich von ihrer Facebook-Seite aus durch die Schnipsel ihrer vermeintlichen Identität. „Tataa. Hier steht eigentlich alles“, kommentiert die Hauptfigur der neuen Arte-Serie „About: Kate“ wenig überzeugt.
Das Besondere: Kates Facebook-Seite gibt es wirklich. Ebenso wie eine Webseite mit allen digitalen Spuren der Protagonistin und eine App zur Sendung, über die Zuschauer die Fragen aus Kates Therapiesitzungen zeitgleich für ihr eigenes Leben beantworten können. „Wir pflanzen kleine Tentakeln nach außen und zurück in die Serie“, sagt die Autorin und Regisseurin Janna Nandzik.
Das Projekt greift damit auf das Prinzip des „Second Screen“ zurück. „Second Screen“ heißt: Fernsehzuschauer nutzen parallel zum TV einen weiteren Bildschirm - zum Beispiel ein Smartphone oder einen Tablet-PC. Sie googlen die Antworten von „Wer wird Millionär“ oder lästern auf Twitter über Til Schweigers ersten „Tatort“-Auftritt. Multitasking vor der Mattscheibe.
Das Fernseh-Erlebnis werde dadurch deutlich interaktiver, sagt die Medienwissenschafts-Professorin Joan Kristin Bleicher von der Universität Hamburg. Das steigere die Aufmerksamkeit für das Programm sogar: „Die aktive Nutzung hebt die Tendenz, die das Fernsehen vorher hatte, zur "Bildtapete" für viele Menschen zu werden, genau auf.“ Allerdings: Noch ist diese Form des Fernsehschauens nach Angaben der ARD/ZDF-Onlinestudie 2012 eher die Ausnahme - und vor allem bei Jüngeren verbreitet.
Viele Programmmacher hoffen auf die Möglichkeit, Zuschauer an ihre Programme zu binden. Bei der RTL-II-Soap „Berlin - Tag & Nacht“ führen die fiktiven Figuren ein fleißig kommentiertes Eigenleben bei Facebook. Der SWR ließ die Zuschauer im vergangenen Jahr nach einer „Tatort“-Folge im Netz weiter ermitteln, im Mai ist eine Neuauflage geplant. „Wir erhoffen uns, dass wir das Gespräch im Netz so länger aufrechterhalten“, sagt Distributionsmanager Guido Bülow.
Hinter dem Trend zum „Second Screen“ steckt aber auch ein wirtschaftliches Interesse. Die Werbeindustrie hofft auf zielgenauere Werbung. Die Parallelnutzung biete dort viel Potenzial, resümiert eine Studie der Vermarktungsgesellschaft von ProSiebenSat.1, SevenOne Media. Elizabeth Prommer, Professorin am Institut für Medienforschung der Universität Rostock, erwartet deshalb, dass sich der „Second Screen“ im privaten, kommerziellen Fernsehen durchsetzen wird.
Doch das Miteinander von Fernsehen und Netz bietet auch ästhetische Möglichkeiten. Das neue Arte-Projekt „About: Kate“ setzt konsequent auf „crossmediales Erzählen“: Was in der TV-Serie passiert, geht im Netz weiter. Nutzer können dort auch eigene Videos einstellen, die dann in Kates Internet-Odyssee eingebaut werden. „Wir geben dem Zuschauer keine Möglichkeit zu entfliehen - eine komplette Geschichte entwickelt sich über alle Kanäle“, sagt Produzent Christian Ulmen im Arte-Interview.
Es gehe aber nicht in erster Linie darum, technische Avantgarde zu sein, betont Autorin Nandzik. „Wir wollen den Jetzt-Zustand untersuchen.“ Ziel sei es, das Gefühl des Online-Seins darzustellen - einschließlich der Erschöpfung, die damit bei manchem einhergeht und die Hauptfigur - gespielt von Natalia Belitski - in die Klinik treibt. Der deutsch-französische Kulturkanal spricht von einem „Experiment zur psychischen Verfassung im digitalen Zeitalter“.
Zumindest in der ersten Folge, die am Samstag um 23.50 Uhr ausgestrahlt wird, gelingt dies. Sie erzählt das Gefühlsleben der Hauptdarstellerin spannend wie einen Krimi, ist frisch und unkonventionell inszeniert, mit schnellen Schnitten und pfiffigen Regieideen. „Wir spiegeln das Möglichkeitswirrwarr des digitalen Zeitalters sowohl in der Erzählform als auch in der Zuschauererfahrung“, sagt Nandzik. Und das könne man im Übrigen auch klassisch rezipieren - ganz ohne „Second Screen“.