Job-Kahlschlag soll Nokias Zukunft retten
Espoo (dpa) - Als Nokia-Chef Stephen Elop Anfang 2011 die große Strategiewende beim finnischen Handy-Riesen einleitete, sprach er von einer brennenden Bohrinsel: Man müsse den Sprung ins kalte Wasser wagen, um sich zu retten.
Nun wirft Elop auch noch mindestens 10 000 Mitarbeiter aus dem Rettungsboot - jeden Fünften, der bei Nokia Handys baut, entwickelt oder vertreibt. Denn auch gut ein Jahr nach dem Sprung in die Arme des großen Partners Microsoft brennt es bei Nokia immer noch an allen Ecken und Enden. Die Lumia-Smartphones der Finnen kommen bisher nur auf einen Bruchteil der Verkäufe von Apples iPhones und der Computer-Handys von Samsung.
Und die günstigen Nokia-Handys werden selbst in ihrer letzten Bastion - den Wachstumsmärkten der Entwicklungsländer - von immer billigeren Smartphones mit dem Google-Betriebssystem Android bedrängt. Und Nokia verliert Geld. Viel Geld: Allein im ersten Quartal gab es einen Verlust von 929 Millionen Euro - im Schnitt zehn Millionen pro Tag. Das laufende Vierteljahr dürfte nicht besser ausgehen, deutet die aktuelle Prognose an.
Elops Antwort: Er will den Wandel noch beschleunigen - und ist bereit, dafür unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen. „Wir müssen uns auf die Technologien fokussieren, die zu unserer Vision passen“, gab der einstige Microsoft-Manager am Donnerstag die Richtung vor. Kern-Baustein der Strategie sind die Lumia-Smartphones mit einer Palette von Diensten, bei denen sich Nokia von der Konkurrenz abzuheben glaubt: Erstklassige Handy-Fotos, mobile Navigation, ortsbezogene Dienste. Ein Beispiel sind die „Pureview“-Handykameras, deren Sensoren 38 Megapixel aufnehmen können. Jetzt kommen Experten und Technologien vom Bildsoftware-Spezialisten Scalado dazu.
Nokia habe gezeigt, dass man das Zeug habe, das Microsoft-System Windows Phone zur dritten großen Kraft im Smartphone-Markt neben Apples iPhone-Software iOS und der Google-Plattform Android zu machen, bekräftigt Elop. Doch in Marktanteilen schlägt sich das bisher nicht nieder. Die Wende zu schaffen sei „schwerer als wir dachten“, räumte auch Elop ein. Gut die Hälfte des Smartphone-Geschäfts kontrolliert Android, ein Viertel Apple - und Windows Phone hängt auch nach dem Lumia-Start im vergangenen Herbst bei wenigen Prozent fest. Die Marktforscher von IDC glauben immerhin, dass Windows Phone zum Jahr 2016 iOS überholen und rund ein Fünftel des Marktes erobern könnte.
Selbst wenn es so kommen sollte - um wirklich etwas davon zu haben, muss Elop erst einmal die Brandherde löschen, in denen das meiste Geld verbrennt. Der Mega-Verlust im ersten Quartal wurde maßgeblich vom Netzwerk-Ausrüster Nokia Siemens Networks (NSN) eingebrockt. NSN war von Anfang an ein Sorgenkind, Nokia und Siemens mussten immer wieder Geld hineinpumpen.
Jetzt ging Elop nicht soweit, eine rasche Trennung von dem Krisenherd anzukündigen. Er betonte aber unmissverständlich, dass die laufende Sanierung NSN zu einem eigenständigeren Unternehmen machen solle. Zur neuen Strategie gehört der Abbau von 17 000 der zuvor 74 000 Arbeitsplätze. In München werden nach monatelangen Protesten 1600 der 3600 Stellen gestrichen, an anderen deutschen Standorten weitere 900.
Bei den günstigen Handys sieht Nokia immer noch einen Markt von 20 Milliarden Euro, auf dem man „sehr profitabel“ agieren wolle. Und Elop verspricht neue Chancen, wenn im Herbst das nächste Microsoft-Betriebssystem Windows 8 auf den Markt kommt. Seit Monaten schon wird über Nokia-Tablets mit dem nächsten Windows spekuliert - ebenso wie darüber, dass Microsoft Nokia einfach kaufen könnte. Elop sagt, das Verhältnis zu Microsoft sei „sehr ausgewogen“. Schließlich hänge der Software-Gigant inzwischen massiv von Nokias Kartendiensten ab.
Gartner-Analystin Carolina Milanesi sieht den Umbau als weiteren Schritt auf dem Weg zu einem schlankeren und agileren Nokia-Konzern. Und ihr Kollege Dave McQueen vom Marktforschungsunternehmen Informa TM meint: „Ortsdienste müssen zu einem wichtigen Alleinstellungsmerkmal für Nokia werden, nachdem vor fünf Jahren 8,1 Milliarden Dollar für den Kartenspezialisten Navteq bezahlt wurden und das sich immer noch nicht spürbar ausgezahlt hat.“
Elop lässt keinen Zweifel, dass die Lage ernst ist: „Die Veränderungen sind absolut notwendig. Wir müssen uns mit äußerster Eile und sehr aggressiv bewegen.“ Und wer das Tempo nicht mithalten kann, muss gehen - so wie am Donnerstag einige Topmanager, die Elop selbst mit der Umsetzung seiner Strategie betraut hatte.