Keine Frage des Spiegels - Tipps zum Systemkamera-Kauf

Berlin/Hannover (dpa/tmn) — Spiegelreflexkameras gelten traditionell als das Maß der Dinge, wenn es um qualitativ hochwertige Fotos geht. Doch an deren Thron rüttelt nun eine neue Apparatekategorie.

Wer gewinnt das Duell?

Ihre Bildsensoren sind so groß wie jene in Spiegelreflexkameras (SLR), und auch die Objektive lassen sich wechseln wie die von SLR-Kameras. Doch was sie unterscheidet, sind ihre Maße, die eher an Kompaktkameras erinnern. Kein Wunder. Denn die Rede ist von spiegellosen Systemkameras, deren Gehäuse ohne sperriges Spiegelsystem viel kompakter und leichter ausfallen kann.

Dass das nicht zulasten der Bildqualität geht, zeigt ein Systemkamera-Vergleich der Stiftung Warentest („test“-Ausgabe 3/13). Darin konnte sich erstmals eine spiegellose Systemkamera an die Spitze des Testfeldes setzen und die SLR-Apparate auf die Plätze verweisen. Der erst im Jahr 2008 eingeführte Kameranachwuchs ist erwachsen geworden, ohne SLR obsolet zu machen. „Jede Kategorie hat ihre Berechtigung“, sagt Peter Knaak von der Stiftung Warentest.

Von einer kleinen, leichten „Immer-dabei-Kamera“ ohne Abstriche bei Bildqualität und Einstellungsmöglichkeiten träumt jeder Fotograf. Diesem Ideal versuchen Spiegellose nahe zu kommen, indem sie den Spiegel-Ballast abwerfen, Wechselanschlüsse für Objektive oder den Blitz-Steckschuh erhalten. „Für den täglichen Gebrauch, auf Reisen oder beim Spaziergang ist die Kompaktheit angenehm“, weiß Knaak.

Doch wo sind die Nachteile? „Sofern der Hersteller die Sensorgröße im sogenannten APS-C-Format von SLR-Kameras belässt, wirkt sich der Schrumpfkurs nicht auf das Objektiv aus — so will es die Physik“, erklärt Sophia Sieber von der Zeitschrift „c't Digitale Fotografie“. Gerade bei großen Zoom-Optiken ist ein kompaktes Kameragehäuse (Body) dann nur ein schwacher Trost. Einige Hersteller setzen deshalb auf kleinere Sensoren oder feilen an neuen Objektivkonstruktionen. Das führt aber mitunter zu Abstrichen bei der Bildqualität.

Zudem bieten manche Hersteller Sucher nur als teures Zubehör zum Aufstecken an - sonst muss die Bildkontrolle übers Display erfolgen, auf dem sich Schärfentiefe nicht optimal beurteilen lässt. Es gibt aber auch Modelle mit integriertem elektronischen Sucher, die mitunter als EVIL (Electronic Viewfinder Interchangeable Lens) bezeichnet werden. Die eine Abkürzung für die junge Kameraklasse gibt es noch nicht. Neben EVIL kursieren MILC, DSLM, CSC oder MSC.

Ein langsamer Autofokus (AF) als Kinderkrankheit von Systemkameras gehört aber inzwischen der Vergangenheit an. Einige Hersteller bieten besonders schnelle Hybrid-AF an. „Was die technischen Eigenschaften betrifft, muss man auf nichts mehr verzichten“, sagt Sieber.

Spiegellose Systemkameras sollen hauptsächlich zwei Zielgruppen ansprechen. „Sie sind interessant für Aufsteiger von Kompaktkameras, die sich mehr Bildqualität und kreativen Spielraum wünschen“, erklärt Sieber. „Spiegelreflex-Nutzer finden darin ein leichteres Zweitgerät, das unauffällig ist und sie augenscheinlich nicht gleich als ambitionierten Fotografen outet“, ergänzt Constanze Clauß vom Photoindustrie-Verband.

Wie bei SLR investiert man auch bei Spiegellosen in ein relativ geschlossenes System von Objektiven und Zubehör. Daher will die Systemwahl wohlüberlegt sein. „Die Objektivvielfalt ist ein zentrales Kriterium“, sagt Sophia Sieber. Quantitativ vorn liege bislang der Standard Micro-Four-Thirds (MFT). Über Adapterringe können aber meist auch vorhandene SLR-Objektive an Spiegellosen des gleichen Herstellers weiterbenutzt werden. Teils gibt es sogar Adapter, um Objektive und Kameras unterschiedlicher Hersteller zusammenzubringen.

Abgesehen davon geben natürlich Kriterien wie Bildqualität oder Bedienung den Ausschlag. „Die eierlegende Wollmilchsau gibt es auch in dieser Kategorie nicht“, sagt Sieber. So böte manche Kamera mit starkem Autofokus etwa nur mittelmäßige Bildqualität oder umgekehrt.

Beim Spiegellosen-Kauf können Verbraucher bedenkenlos auch Hersteller wählen, die noch relativ neu auf dem Kameramarkt sind. „Man kann sich frei machen von der bisherigen Markenhierarchie“, urteilt Sophia Sieber. „Der Markt ist im Umbruch“, sagt auch Knaak.

Warum sollte man überhaupt noch eine SLR kaufen? Weil man Liebhaber der Spiegelreflextechnologie ist, oder auch weil man größere Kameras bevorzugt, sagt Clauß. „Und weil es fotografische Gebiete, beispielsweise Architektur, Sport und Tierwelt gibt, wo diese Kameras auch dank der größeren Objektivauswahl ganz klar ihre Stärken ausspielen.“ Vorteile bieten hochwertige SLR-Kameras auch bei Serienaufnahmen und beim Scharfstellen von Bewegtmotiven. Im Einsteiger-Bereich sieht Peter Knaak zudem einen Preisvorteil: „Hier sind Sets vergleichsweise sehr günstig zu haben“.

Trotzdem: Spiegellose sind im Massenmarkt angekommen. Mit Canon, Fujifilm, Nikon, Olympus, Panasonic, Pentax, Samsung und Sony ist die Zahl der Anbieter groß. Dass Spiegellose die SLR-Kameras auf absehbare Zeit komplett verdrängen, glauben aber weder Clauß noch Knaak. Der Warentester sagt voraus, dass sich das SLR-Angebot langsam zu einer reinen Profi-Nische entwickeln wird.