Großes Potential Konsole statt Rasen - Bundesliga rüstet sich für E-Sport
Berlin (dpa) - Sitzen die Sport-Stars künftig vor Computerkonsolen, anstatt sich durchgeschwitzt bei Wind und Wetter über den Stadionrasen zu kämpfen?
Fakt ist: E-Sport ist längst zu einer ernstzunehmenden Branche, zu einem lukrativen Geschäft geworden - große Stars, Millionen Fans und riesige Turniere mit hohen Gagen inklusive. Das haben auch die ersten Bundesligavereine erkannt, die sich zunehmend in diesem Bereich engagieren.
Den Anfang machte 2015 der VfL Wolfsburg, später folgten der FC Schalke 04 und zuletzt der VfB Stuttgart, der Mitte Juli eine E-Sport-Abteilung gründete und zwei Profis für das Computerspiel FIFA 17 unter Vertrag nahm. „Wir hoffen, dadurch ganz neue junge Zielgruppen für den VfB zu begeistern“, sagt Vorstand Jochen Röttgermann. Er ist sicher, „dass auf diesen Zug noch etliche Vereine aufsteigen“.
Am kommenden Wochenende organisiert der Fußball-Weltverband FIFA in London den ersten „Interactive Club World Cup“, bei dem die Gamer verschiedener Clubs gegeneinander antreten. Neben Schalke und Wolfsburg haben sich beispielsweise Manchester City, Paris Saint-Germain oder die PSV Eindhoven qualifiziert.
Auch Robin Dutt sieht großes Potenzial im E-Sport. Der Ex-Trainer von Bayer Leverkusen und Werder Bremen berät inzwischen eine Agentur für virtuelle Fußballspieler. „Der reale Fußball muss sich insbesondere mit den 14 bis 30-Jährigen auseinandersetzen, dass die jungen Leute auch in Zukunft noch ins Stadion gehen“, sagt der 52-Jährige. Und: Die Vereine versuchten, alle möglichen Märkte, vor allem die asiatischen, zu erobern. „Mit prominenten E-Sportlern unter Vertrag könnte man online weitaus öfter auf diesen Märkten präsent sein, als nur einmal im Jahr die Bundesligamannschaft nach Asien zu schicken.“
Worum geht es genau? Beim E-Sport werden Computerspiele wie „League Of Legends“, „Dota 2“, „Counterstrike“ oder eben die Fußball-Simulation FIFA auf Wettbewerbsebene ausgefochten. Längst haben sich, wie im normalen Sport auch, Ligen etabliert, in denen die Profis gegeneinander antreten. Und bei den Asienspielen 2022 ist E-Sport bereits Teil des offiziellen Programms.
Aber handelt es sich überhaupt um eine richtige Sportart? Für viele ist die Vorstellung sicher gewöhnungsbedürftig. Auch Ingo Froböse hat sich lange mit der Frage auseinandergesetzt. Für den Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln ist E-Sport ein Sport, weil er kompetitiv ist und viele biologische und körperliche Reaktionen zeige, die man auch im klassischen Sport finde - beispielsweise erhöhte Herzfrequenzen, Stressreaktionen, hormonelle Veränderungen.
Außerdem brauche es kognitive Fähigkeiten, ein technisches und taktisches Verständnis und eine schnelle Reaktionsfähigkeit. Professionelle Gamer sollten nicht nur an der Konsole, sondern auch ihren Körper trainieren und auf die Ernährung achten. „Der fitte Spieler ist ein guter Spieler.“
Froböse sieht aber auch Probleme: „Doping wird immer mehr ein Thema.“ Kontrollen seien bei Online-Spielen schwer durchführbar, und in der Szene fehlten die Strukturen des klassischen Sports. Positiv hervor hebt der Wissenschaftler die hohe integrative Wirkung des E-Sports. „Die Spieler sind international unterwegs, das ist wie eine große globale Familie, da gibt es keine interkulturellen Hemmnisse.“
Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte und des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) sagt dem E-Sport ein rasantes Wachstum voraus. 2016 seien damit in Deutschland 50 Millionen Euro umgesetzt worden, hauptsächlich über Werbung, Sponsoring und große Turniere. In drei Jahren soll der Umsatz bei 130 Millionen liegen.
Gegen die knapp 2,4 Milliarden Euro der Fußball-Bundesliga ist das zwar wenig. Jedoch sei der E-Sport „nicht mehr weit von den anderen etablierten Sportarten wie Handball, Basketball oder Eishockey entfernt“, schreiben die Deloitte-Berater.
International sind viele Länder schon weiter. Große Märkte sind Asien und die USA, wo sich Ex-Basketballspieler Shaquille O`Neal und Baseballstar Alex Rodriguez am US Team NRG eSports beteiligen. Hollywood-Schauspieler Ashton Kutcher investiert in den eSport-Wettanbieter Unikrn.
Auch in Europa tut sich einiges. In einer norwegischen Schule sei E-Sport als Unterrichtsfach eingeführt worden, sagt Froböse. In den Niederlanden und in Frankreich sind die Fußball-Erstliga-Vereine laut Dutt inzwischen verpflichtet, eine E-Sport-Abteilung einzurichten.
„Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland hinterher“, erklärt VfB-Vorstand Röttgermann. „Nur in Nostalgie zu verfallen, und die alten Zeiten zu verklären, reicht heute nicht mehr aus.“ Es gehe darum, die Tradition des Vereins zu bewahren, aber das Unternehmen zugleich am modernen Markt auszurichten. „Wir leben in einer digitalisierten Welt“, meint auch Dutt. „Da kann man nicht daran festhalten, dass nur beim Fußball alles so bleibt, wie es immer war.“