Mobiles Internet ist die zweite digitale Revolution
München (dpa) - Das Netz hat alles verändert. Und der rasante Aufschwung mobiler Zugänge zum Internet beschleunigt den Wandel in der Medienlandschaft immer weiter.
Bei allen Problemen, die klassische Medienhäuser mit dem technischen Wandel haben, stecke in der Entwicklung für den Journalismus aber eine große Chance, sagte der amerikanische Medienanalyst Ken Doctor am Donnerstag auf den Medientagen München auf dem sogenannten Publishing-Gipfel. Er sehe die Medienbranche sogar am Beginn eines Goldenen Zeitalters. Dafür müssten Medienunternehmen und Verlage aber ihre Geschäftsmodelle anpassen - und sich vor allem mutig auf neue Wege machen.
An schwindender oder gar zahlungsunwilliger Kundschaft liege es jedenfalls nicht, wenn Zeitungen Auflage einbüßten oder Schwierigkeiten hätten, ihre Umsätze zu halten. Weltweit investierten immer mehr Menschen zunehmend Zeit und Geld, um sich digital zu informieren, sagte Doctor. „Die Position von Zeitungen ist stark.“ Im digitalen Zeitalter komme es für Journalisten darauf an, Geschichten mit zusätzlichen Animationen zu erzählen, mit Audio und Video. Kreativer, besser und informativer könne Journalismus sein - und damit am Ende auch Geld verdienen. Doctor riet den Zeitungen in Deutschland, ihre Beziehung zu den Lesern zu vertiefen, ihnen Events und Rabatte anzubieten und die Abonnenten zu Mitgliedern einer Gemeinschaft zu machen.
FAZ-Geschäftsführer Tobias Trevisan sagte, die Tageszeitungen müssten mehr über den einzelnen Leser erfahren, um Zusatzgeschäfte machen zu können. „Was uns gar nie beschäftigt hat, ist der Einzelne.“ Die meisten Verlage wüssten über einen Leser bisher nur den Namen, die Adresse und seit wann er Abonnent ist. Die Zukunft liege aber im Datenmanagement-Geschäft. „Wir müssen uns an Einzelbedürfnissen ausrichten“, betonte der Sprecher der Geschäftsführung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Auf diese Weise könnten Zeitungen zielgruppengenau differenzieren.
Der Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, Jan-Eric Peters, warnte seine Kollegen allerdings vor Zusatzgeschäften. „Wir sollten auf Journalismus setzen“, sagte Peters. „Zusatzgeschäfte - da werde ich ganz vorsichtig.“ Denn sie bedrohten die Glaubwürdigkeit einer Medienmarke. „Ich möchte keine Matratzen verkaufen. Ich möchte am liebsten noch nicht mal irgendwelche Reisen verkaufen.“ Journalisten sollten unabhängig berichten, ohne im Hinterkopf an bestimmte Kooperationen zu denken. „Wir machen nur das, was wir glaubwürdig können“, bestätigte auch der Geschäftsführer des Condé Nast Verlags, Moritz von Laffert: „Man muss sehr, sehr stark aufpassen, dass man sich selbst treubleibt.“
Auch wie und ob Leser künftig für Inhalte bezahlen sollten, bleibt eine Streitfrage. Abos, Bezahlschranken, Gebühren für den Einzelabruf oder rein werbefinanzierte Angebote: Es wird wohl die Zeit zeigen, welche Modelle am ehesten funktionieren. Doctor betonte, es fehle nicht an der grundsätzlichen Zahlungsbereitschaft. Allerdings müsse ein Angebot auch seinen Preis rechtfertigen, um im Wettbewerb bestehen zu können. „FAZ“-Geschäftsführer Trevisan warf dem Springer-Verlag in dieser Debatte Dumpingpolitik vor. „Die ganze Branche, die Qualitätspresse hat ein Riesenproblem mit der Dumpingpolitik von Springer“, sagte der Verlagsmanager. „Ich weiß nicht, was der Unterschied ist zwischen "Welt kompakt" und der (Gratiszeitung) "20 Minuten" in der Schweiz.“ Peters, wies diese Kritik zurück: „Der Unterschied zwischen "20 Minuten" und "Welt kompakt" ist genau der, dass die eine Zeitung gratis ist und die andere Geld kostet.“ Für Trevisan sind nicht Zeitungen oder Portale wie die „Huffington Post“, die sich klar als Gratisangebote positionierten, das Problem. „Womit wir ein Problem haben, sind diese Mischmodelle“, bei denen nicht klar sei, welcher Teil der Auflage kostenlos abgegeben und anderweitig finanziert werde. „Das ist für mich zynisch, das ist keine klare Haltung.“
Auch für das Fernsehen verändern die mannigfaltigen Zugriffsmöglichkeiten auf das Netz die Lage grundlegend. Sorgen macht sich ProSiebenSat.1-Digitalchef Arnd Benninghoff dennoch nicht. „TV bleibt“, sagte der Manager auf dem Online-Gipfel der Medientage. Vor allem Unternehmensvertreter sprachen in der Runde über die materiellen Folgen des technischen Wandels: Reichweiten von Werbung, Finanzierung von Angeboten und wie der Nutzer an Marken gebunden werden kann - ohne mit Konflikt mit dem Datenschutz zu kommen. Journalisten oder Onlinemedien fehlten auf dem Podium allerdings komplett.
Einig waren sich die Vertreter von Nestlé, Facebook oder Microsoft, dass nicht nur die Medien, sondern auch die Telekommunikationsbranche und die Werbe- und Unterhaltungsindustrie derzeit einen grundlegenden Wandel ihrer Geschäftsmodelle erlebten. So werde etwa das klassische lineare Fernsehen, bei dem nach einem festen Zeitplan nach einander Sendungen laufen, seine Bedeutung einbüßen. Die Angebote in allen Mediengattungen würden kleinteiliger, persönlicher und unabhängig von Zeit und Ort verfügbar. Woher die Inhalte für mediale Angebote künftig kommen, sei dabei noch nicht ausgemacht, sagte die Kommunikationschefin von Nestlé Deutschland, Tina Beuchler.
Dabei ist die Antwort auf diese Frage wichtig, denn der rechtliche Rahmen, etwa für TV-Anbieter, orientiert sich noch an den herkömmlichen Verbreitungswegen. Große Sorgen machte sich deswegen Jürgen Brautmeier, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, angesichts des zunehmenden Angebots im nicht-linearen Markt, also beim Abruffernsehen wie Video on demand. Der Regulierungsrahmen sei nicht mehr zeitgemäß, der Gesetzgeber habe keinen Zugriff auf nichtlineare Angebote. Gerichte würden heute immer noch auf Grundlage des Rundfunkstaatsvertrags entscheiden, in dem viele neue Entwicklungen unberücksichtigt seien.