Ein Tag im Krefelder Bismarckviertel

Nehmen Sie diese Seite und spazieren Sie damit an Villen vorbei durch ein grünes Stadtgebiet, in dem die Textilfabrikanten ihre Spuren hinterlassen haben.

Das Bismarckviertel ist in Relation zur Krefelder Stadtgeschichte ein junger Ortsteil. 2023 wird die Stadt am Niederrhein 650 Jahre alt, das Bismarckviertel grenzt an das Stadtzentrum, entstand aber erst 1870, ist also erst 149 Jahre alt. „Weil das Gebiet so sumpfig war, war es praktisch unbewohnbar“, erklärt Götz Waninger, der im Viertel lebt und für die Volkshochschule Stadtführungen anbietet. Färbereien der Seidenindustrie siedelten dort an, weil genug Wasser vorhanden war. Durch den hohen Wasserverbrauch der Firmen kam es zu einer Absenkung des Grundwassers, diese wurde noch verstärkt, als der erste Abwasserkanal der Stadt unter der Uerdinger Straße in Richtung Rhein gebaut wurde. Damit konnte die Bebauung des Bismarckviertels beginnen.

Wer heute durch die Hohenzollernstraße oder die Bismarckstraße spaziert, wird mit prachtvollen Häusern, vielen Bäumen und Grünflächen belohnt. Reißen Sie die Seite ruhig aus, falten Sie sie zusammen und begeben sich auf einen Spaziergang durch das grüne Bismarckviertel. An allen in der Karte gekennzeichneten Punkten begegnen Ihnen Erklärtafeln der Bürgergemeinschaft des Bismarckviertels.

Am Hohen Haus 2

Als Krefeld noch zu Moers gehörte, bauten die Moerser Grafen im Mittelalter die Wasserburg Krakau. Sie sollte die Krefelder schützen, die in der Grafschaft etwas abgelegen lebten. 1406 wird die Burg das erste Mal erwähnt. Die Grafschaft Moers wurde per Erbschaft an die Oranier übergeben, die die Burg 1680 wegen der hohen Unterhaltskosten abtragen ließen. 1775 kaufte die Krefelder Familie von Beckerath den Besitz und baute daraus zwei Gebäude: Das Schloss Cracau, das allerdings 1943 durch Bomben zerstört wurde, und das heute noch stehende Hohe Haus. In dem jahrhunderte alten Gemäuer befindet sich ein Weinhandel, Interessierte können sich die Räume von innen anschauen:

Montag: Ruhetag, Di.-Fr.: 10 Uhr bis 18.30 Uhr, Sa: 10 Uhr bis 14 Uhr

Die jüdische Gemeinde

Über die Bogenstraße geht es am Von-Beckerath-Platz vorbei in die eher unscheinbare Wiedstraße. Auf der rechten Straßenseite zu bleiben lohnt sich, denn die jüdische Synagoge fällt kaum auf. Erst wer hochblickt, sieht die Fassade aus Sandstein über den Videokameras und dem zur Sicherheit immer geschlossenen Eingang. An der Fassade steht eine Inschrift: „Herr ich liebe Deines Hauses Stätte und den Ort, wo Deine Herrlichkeit thront“, damit wird auf den 1938 zerstörten Vorgängerbau an der Petersstraße verwiesen. Besonders beachtenswert sind die Glasfenster aus einem Entwurf des Künstlers Johan Thorn Prikker. Eingeweiht wurde die neue Synagoge 2008. Wer die Räume von innen sehen möchte, der kann sich telefonisch mit der Gemeinde in Verbindung setzen unter Telefon: 02151/56 54 50.

Haus Leyental

Vom Von-Beckerath-Platz nach links gehend, erwarten Sie drei interessante Gebäude. Das Haus der Textilindustrie befindet sich an der Von-Beckerath-Straße 11. Es wurde als Bürogebäude für die Verbände der deutschen Textilindustrie errichtet. Über der Tür ist die Figur einer Frau zu sehen, die die Glücksgöttin der Produktion darstellt. An der nächsten Kreuzung steht das gelbfarbene Haus Leyental. Die Seidenfabrikanten Friedrich und Heinrich von der Leyen haben an der Leyentalstraße 1 1781 einen Sommer- und Jagdsitz gebaut. Hinter dem Haus gab es einen großen Wald und ein Wildgehege. Damals gehörte Bockum, das Gebiet ab der Grenzstraße, noch zu Kurköln.

Die Alte Seidenweberei

Wenn Sie noch ein bisschen weiterlaufen, stoßen Sie an der Leyentalstraße 30 auf ein Vermächtnis der Seidenindustrie. 1910 ließen die Seidenweberfamilien Beindorff und von Beckerath dort ein Kontor- und Lagerhaus errichten. Die Firmenteile waren über die ganze Stadt verteilt und konnten dort zusammengefasst werden. Die 1835 von Eduard Beindorff und Carl von Beckerath gegründete Firma war eine der ältesten Seidenwebereien Krefelds. In dem Gebäude sind nun Büros und Wohnungen untergebracht. Aber die historische Fassade lässt sich immer noch bewundern.

Landratsamt

Schlendern Sie ein bisschen durch die Straßen und entdecken Sie kleine Grünoasen wie den Schillerplatz, bevor Sie sich auf den Weg machen zum Herzstück des Stadtteils: den Bismarckplatz. Eindrucksvoll steht dort das erste Gebäude am Platz: das ehemalige Landratsamt. 1890 baute die Kreisverwaltung des Landkreises Krefeld am Bismarckplatz 32 das Haus, um Büros und einen Sitzungssaal zu schaffen. 1929 wurde der Landkreis aufgelöst. 1935 übernahm die NSDAP-Kreisleitung Krefeld-Uerdingen das Haus. Nach dem Krieg war es das Standesamt Mitte. 2003 wurde es verkauft und ist nun ein Ärztehaus.

Der Bismarckplatz

Schauen Sie sich in Ruhe um. Die Häuser am Bismarckplatz sind größtenteils erhalten. Es macht Spaß sich die unterschiedlichen Bauweisen anzuschauen und an dem Platz entlangzuschlendern. Einige zerstörte Häuser konnten wieder aufgebaut werden, andere nicht. Der Architekt Karl Buschhüter (1872—1956) begegnet dem Betrachter mit seiner besonderen Art zu bauen immer wieder. Er selbst hat nach dem Krieg einige seiner Häuser wieder hergerichtet (zum Beispiel Hausnummer 11). Sie stehen, wie viele andere im Bismarckviertel unter Denkmalschutz. Er war Krefelder und galt als Wegbereiter des ökologischen Bauens. Buschhüter wird wegen antisemitischer Aussagen allerdings kritisch gesehen. Die Grünanlage des Bismarckplatzes war ursprünglich eine Einheit. Der Zweite Weltkrieg und die Verkehrsplanung änderten das. Die Bürgergemeinschaft Bismarckviertel sorgte aber für einige Verschönerungen. Am Springbrunnen unter den großen Bäumen können Sie Platz nehmen und die Häuser auf sich wirken lassen. Wenn Sie dann in Richtung Hohenzollernstraße gehen, finden Sie dort eins der ältesten Häuser des Viertels (Nummer 45) direkt neben einem der jüngsten Häuser des Viertels (Nr. 47).

Das Bismarckdenkmal

1895 zum 80. Geburtstag von Otto von Bismarck (erster Reichskanzler des Deutschen Reiches von 1871 bis 1890) wird das Denkmal mit einer Bismarck-Statue eingeweiht. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Figur eingeschmolzen, der Sockel wurde in der Erde vergraben und in den 80er Jahren wieder hervorgeholt. Der Sockel selbst ist nun ein Denkmal. Auf einer Inschrift davor steht: „Errichtet von der Stadt Krefeld im Jahre 1895. Die Bronze-Figur zur Gewinnung von Kriegsmaterial von den Nationalsozialisten abgeräumt im Jahre 1940. Die Reste des Denkmals verscharrt nach 1963. Sockel wiedergefunden und aufgestellt im Jahr 1987. Unter Denkmalschutz gestellt 1996 — als schmerzliche Erinnerung unserer Geschichte.“

Der Kinderbrunnen

Wenn Sie nun den Platz verlassen und in die Hohenzollernstraße abbiegen, finden Sie im Grünstreifen an der Brahmstraße den Kinderbrunnen. 1911 wurde er eingeweiht. Geschaffen hat ihn der Krefelder Bildhauer Franz Brahmstädt. Dargestellt sind zwei Kinder, die einen Kranz winden. Oft wird er auch Märchenbrunnen genannt, weil die Szene an „Schwesterchen und Brüderchen“ von den Gebrüdern Grimm erinnert.

Haus Rudolf Oetker

Wer gut zu Fuß ist, kann die Prachtstraße noch weiter entlang spazieren. Der Architekt August Biebricher hat das Bild des Viertels stark geprägt, ein Beispiel dafür ist das Haus Rudolf Oetker an der Hohenzollernstraße 91. Es wurde für den Textilfabrikanten errichtet, heute gehört es der Schwesternschaft des Deutschen Roten Kreuzes. Der Park dahinter ist öffentlich nicht zugänglich. Aus dem ehemaligen großen Grundstück wurden mit der Zeit auch zwei, weshalb der See nun nicht mehr zum Haus an der Hohenzollernstraße 91 gehört.

Villa Merländer

Auf dem Rückweg gibt es noch eins der eindrucksvollsten Gebäude zu entdecken, das Haus an der Friedrich-Ebert-Straße 42. Es gehörte dem Seiden- und Samtwarengroßhändler Richard Merländer. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er verfolgt, er starb in einem Vernichtungslager. Die genauen Umstände sind nicht bekannt. Heute befindet sich in dem Gebäude die NS-Dokumentationsstelle. Im Haus befinden sich noch zwei Wandgemälde des Krefelder Künstlers Heinrich Campendonk. Besichtigungen sind möglich: mittwochs von 9 bis 12 Uhr, sowie jeden 4. Sonntag im Monat

von 14 bis 17 Uhr.

Das Moltke-Gymnasium

Über die Roonstraße geht es zur letzten Station: Das Gymnasium am Moltkeplatz. Das eindrucksvolle Gebäude wurde 1915 nach Entwürfen von August Biebrich errichtet. Die Schule geht zurück auf den Mennonit Adam Wilhelm Scheuten, der 1800 testamentarisch eine Schule errichten ließ, die allen Konfessionen offen stehen sollte. Da die Vorgängerbauten schnell zu klein wurden, wurde das Gebäude geschaffen, vor dem Sie nun stehen und das heute noch als Schule genutzt wird.