Abschreiben — das tut jeder Dichter
Goethe, Brecht und Mann berufen sich auf künstlerische Freiheit.
Berlin. Karl-Theodor zu Guttenberg befindet sich eigentlich in guter Gesellschaft. Goethe, Heine, Brecht oder Thomas Mann — sie alle haben sich bei anderen bedient, ohne auch nur eine einzige Fußnote zu setzen. Allerdings taten sie dies als Künstler, nicht als Wissenschaftler.
In frischer Erinnerung ist noch die Jungautorin Helene Hegemann, die ganze Passagen aus einem Internet-Blog wörtlich in ihren Bestseller „Axolotl Roadkill“ integriert hatte — der Aufreger des vorigen Jahres. Die heute 18-Jährige: „Ich selbst empfinde es nicht als geklaut, weil ich das ganze Material in einem eigenen Kontext eingebaut habe.“
Dies ist seit jeher das Argument dafür, warum Künstler „klauen“ dürfen. William Shakespeare hat keinen einzigen Plot seiner Dramen selbst erfunden, und doch wird man ihn nicht Betrüger nennen. Denn aus den farblosen Figuren seiner Vorlagen schuf er Persönlichkeiten mit psychologischem Tiefgang.
Thomas Mann zitiert in seinen „Buddenbrooks“ aus einem medizinischen Fachbuch, als der junge Hanno an Typhus stirbt. Die nüchterne Beschreibung des Krankheitsverlaufs im Kontext seines Romans hat eine unerwartete Schockwirkung.
Manche Stücke von Elfriede Jelinek sind sogar fast nur aus Fremdzitaten zusammengesetzt. In solchen Montage-Werken kann die künstlerische Leistung darin bestehen, die Texte durch das gleichzeitige Geschehen auf der Bühne in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.
Viele große Dichter haben deshalb aus dem Abkupfern gar keinen Hehl gemacht. Heine bezeichnete Plagiatsvorwürfe als „töricht“. Goethe schrieb: „Die sämtlichen Narrheiten von Plagiaten und Halbentwendungen erscheinen mir läppisch.“ Und Bertolt Brecht, der sich für die „Dreigroschenoper“ bei einem mittelalterlichen Barden bedient hatte, bekannte sich ohne Umschweife zu seiner „Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums“.
In der bildenden Kunst galt es jahrhundertelang sogar als größte Auszeichnung, kopiert zu werden. Denn das hieß ja, dass man seine Sache gut gemacht hatte. Rubens kopierte Michelangelo, Rembrandt kopierte Rubens — und keiner hatte etwas dagegen.
Damals kannte man noch kein Urheberrecht. Wenn heute ein Plagiatsfall aus der Kunst vor Gericht kommt, muss eine Abwägung zwischen der künstlerischen Freiheit und dem Recht am geistigen Eigentum getroffen werden. Und das Plagiat muss schon sehr dreist ausfallen, wenn der Kläger eine Chance haben will.