Zu hohe Kosten Architekt von Pariser Philharmonie soll 170 Millionen Euro zahlen
Paris · Wegen zu hoher Baukosten fordert die Betreibergesellschaft des Konzerthauses eine Entschädigung von Jean Nouvel. Der wehrt sich.
Die Alu-Fassade der Pariser Philharmonie glitzert im Wechselspiel von Licht und Schatten: tagsüber bei Sonne, abends im Schweinwerferlicht vorbeifahrender Autos. Hinter der glänzenden Hülle des Konzerthauses jedoch tobt seit Jahren ein erbitterter Streit. Die Betreibergesellschaft des Konzerthauses fordert von Frankreichs Stararchitekt Jean Nouvel 170 Millionen Euro, weil die Philharmonie zu teuer geworden ist. Nun schlägt Nouvel zurück, nicht nur um seine Haut zu retten.
Statt rund 173 Millionen Euro soll der 23 000 Quadratmeter große, mehrstöckige Musikkomplex mit einem Hauptsaal mit 2400 Plätzen, 15 Proberäumen, einem Zentrum für Musikausbildung sowie einem Restaurant und Cafés offiziell über 380 Millionen Euro gekostet haben. Das futuristisch anmutende Gebäudes wurde im Januar 2015 im Nordosten der Stadt im Parc de la Villette eröffnet. Finanziert wurde es jeweils zu 45 Prozent vom Staat und der Stadt Paris, der Rest von der Region Ile-de-France.
Die geforderte Summe sei fast zehnmal höher als die Gebühren des Ateliers Nouvel, erklärten William Bourdon und Vincent Brengarth, die Anwälte des 74-jährigen Architekten des Louvre Abu Dhabi und des Pariser Museums für außereuropäische Kulturen Quai Branly. Für die Juristen kommt die Forderung einem Todesurteil gleich. Auf dem Spiel stehe die Existenz einer der größten französischen Agenturen der Welt, sagten sie in mehreren französischen Medien.
Mit ihrer Forderung ist die Betreibergesellschaft der Philharmonie vor das Tribunal de Grande Instance gegangen, dem Zivilgericht in erster Instanz, wo Streitwerte über 10 000 Euro verhandelt werden. Ihre Begründung: Nouvel habe ständig Veränderungen vorgenommen und die Kosten unterschätzt.
Dass die Kosten öffentlicher Bauprojekte explodieren, kommt häufig vor. Die Elbphilharmonie in Hamburg hat statt rund 80 Millionen Euro das Zehnfache gekostet. Der Grund: Konstruktions- und Planungsfehler und vor allem bewusst unterkalkulierte Preise. Der öffentliche Auftraggeber darf nur an jenen Bieter sein Projekt vergeben, der am wirtschaftlichsten und somit am billigsten ist. Die Folge: Angebote zu unangemessen niedrigen Preisen.
„Ein absurdes Spiel, das alle kennen und stillschweigend hinnehmen“, sagte der Pariser Architekt Eric Delplanque. Jeder wisse, dass man Großprojekte wie Konzerthäuser weder für 80 Millionen noch für 173 Millionen Euro bauen kann, erklärte er. Deshalb ist für ihn der Pariser Streit um Jean Nouvel ein Skandal. Er werde zum Sündenbock für ein System, das an der Wirklichkeit vorbeigehe.
Mit seiner Klage will Nouvel auch seine Zunft verteidigen
Die Forderung bezeichneten die beiden Anwälte deshalb auch als „absolut einzigartig“. Sie sei in der Welt der Architektur beispiellos, hoben sie in den Medien hervor. Nach erfolglosem Schlichtungsversuch hat Nouvel nun gegen die Betreibergesellschaft Klage bei der Finanz-Staatsanwaltschaft eingelegt. Sein Vorwurf: „übermäßige Gebührenerhebung“ und „Günstlingswirtschaft“. Die Betreiberfirma soll ohne seine Zustimmung und ohne wirkliche Konkurrenz mit dem französischen Konzern Bouygues zusammengearbeitet haben, ein unter anderem weltweit führendes Unternehmen in den Bereichen Baugewerbe und Tiefbau.
In den geforderten 170 Millionen Euro sind auch 110 Millionen Euro enthalten – als Strafgeld wegen Verzögerung. Denn statt 2013 wurde die Eröffnung auf 2015 verschoben. Um weitere Kosten zu vermeiden, wurde die Philharmonie sogar unvollendet eingeweiht. Am Galaabend war die Außenfassade noch nicht fertig, Baukräne standen noch herum und die Parkettböden waren unversiegelt.
Nouvel blieb dem Ereignis deshalb auch fern. Seine Begründung gab er jener Zeit in der französischen Tageszeitung „Le Monde“ bekannt: Die architektonischen und technischen Anforderungen seien noch nicht erfüllt. Mit seiner Klage bei der Finanz-Staatsanwaltschaft will Nouvel auch seine Zunft verteidigen. Er führe diese Schlacht auch im Namen eines „Architekten-Rechts“, das von den öffentlichen Auftraggebern immer weniger respektiert werde, zitierte ihn „Le Monde“.
Publikum und Musiker sind mit dem Musikkomplex allerdings zufrieden. Wie die Leitung des Konzerthauses Anfang Januar veröffentlichte, sind seit der Eröffnung über fünf Millionen Besucher gekommen.