Ausstellung in Münster: Einsteins Gehirn und viele schlaue Gedanken
Eine Ausstellung in Münster zeigt ab Freitag all das, was die Schaltzentrale in unseren Köpfen ausmacht.
Münster. Die Glasvitrine steht in einer Nische des Museums. Gesichert durch eine Alarmanlage. In der Vitrine zwei daumengroße Körper, von Zeit zu Zeit leuchtet der Schriftzug E=mc² auf. Albert Einsteins Formel über die Energie-Masse-Äquivalenz. Darunter ein Teil von dem, der sie einst erdacht hat. Zu sehen sind da nämlich zwei konservierte Schnitte des Gehirns des genialen Physikers.
Ein Anblick, der einen schwanken lässt zwischen dem Gefühl der Ehrfurcht und des „Ich mag das gar nicht näher betrachten“. Ein Pathologe hatte das Gehirn nach Einsteins Tod entnommen. In der Hoffnung, dass feststellbar sei, was Genialität ausmacht. Doch weder Struktur noch Größe des Gehirns geben darüber Auskunft. „Es ist durch den Blick von außen nicht erkennbar, ob ein Mensch intelligent war oder nicht“, sagt Nicola Holm. Die Biologin ist eine der Macherinnen der am Freitag startenden Ausstellung des Naturkundemuseums Münster mit dem Titel „Das Gehirn — Intelligenz, Bewusstsein, Gefühl“. Für diese faszinierende Schau haben die Münsteraner zwei der mehr als 150 Schnitte des Einstein-Gehirns aus einem Museum in Philadelphia als Leihgabe bekommen. „Natürlich kam das konservierte Gewebe nicht per Post, das wäre viel zu riskant gewesen“, sagt Holm, der Sammlungsleiter des amerikanischen Museums habe es persönlich nach Münster gebracht.
71 Gläser mit echten Gehirnen stehen in der Ausstellung. Foto: dpa
Wie zu erwarten, gibt es in der Ausstellung auch vollständige konservierte Tiergehirne zu sehen — 71 an der Zahl — von der Maus bis zum Elefanten. Doch es geht den Ausstellungsmachern um viel mehr als die Anatomie des Gehirns. Es geht um die faszinierende Vielfalt dessen, was dieses Werkzeug zu leisten vermag. Und da wird man ins Grübeln versetzt, wie es sich bei einer Ausstellung über das Gehirn gehört.
Zum Beispiel hier: Was unterscheidet eigentlich die beiden Bilder voneinander, die da an der Wand hängen? Unter dem einen steht Pablo Picasso, unter dem anderen „Julia“. Eine Schimpansin. Da wird der Betrachter schon nachdenklich. Wo ist der Unterschied, was macht eigentlich Kreativität aus? Genau das ist es, was die Ausstellung in Münster will: anregen, anstupsen. Oder wie es LWL-Direktor Matthias Löb sagt: „Das Gehirn schaut sich selbst bei der Arbeit zu.“
Löb meint damit nicht nur das Nachdenken über den Grenzbereich zwischen Mensch und Tier, sondern auch die verschwimmenden Übergänge des Menschen zur Künstlichen Intelligenz (KI). Auch diese werden hier thematisiert, wenn auch nicht so gruselig, wie es derzeit Autoren und Wissenschaftler mit ihren Warnungen tun, dass die KI den Menschen schon bald vom Sockel stürzen, unterjochen, gar ausrotten wird.
Hier im Museum kommt die KI noch eher putzig daher. In Gestalt des Museumsroboters Kim. Eine orangene rollende Säule, die an der Stelle, wo sich bei unsereins der Brustkorb befindet, ein Display trägt. Dort darf der Besucher eingeben, was ihn interessiert. Nach Eingabe des Befehls dreht sich Kim zweimal um sich selbst und rollt dann los zu den Ausstellungsstücken. Auf dem Bildschirm leuchtet „Bitte folgen Sie mir“. Angekommen am Ziel erklärt Kim Details. Mit sympathischer Roboterstimme. Danach gibt er Schnarchgeräusche von sich und fordert den Besucher erneut auf: Wählen Sie ein Highlight aus. Dann rollt er weiter. „Bitte folgen Sie mir.“
Zum Beispiel in den Raum, in dem gezeigt wird, wie Tiere wahrnehmen: Man schaut durch den Kopf einer Stubenfliege auf einen Bildschirm. Und sieht, wie diese die Welt sieht und welche Details ihr entgehen. Andere Tiere jedoch, so wird anschaulich gemacht, können über unsere Wahrnehmungsfähigkeiten nur müde lächeln. Die Fledermäuse mit ihrem Ultraschall-Trick etwa. Der Besucher kann sich aber auch in die Lage versetzen lassen, mit den Füßen zu hören, spürt, wie Elefanten über große Distanzen von Artgenossen verursachte Erschütterungen aufnehmen.
All dies im „Edutainment“-Stil, wie es Museumsdirektor Jan Ole Kriegs ausdrückt. Ein Kunstwort aus Education und Entertainment (Belehrung und Unterhaltung). Und das ist wirklich gut gelungen. Zum Beispiel in dem Ausstellungsraum, in dem es um optische Illusionen geht. Wer an der Außenwand eines manipulierten Raumes durch ein Guckloch schaut, nimmt erst mal nur ein ganz normales Zimmer wahr. Doch sobald sich zwei Menschen in die hinteren beiden Ecken stellen, erscheint einer riesig, der andere deutlich kleiner. Im Raum sind die Wände trapezförmig verzerrt. Eine Wand ist kürzer als die andere, so dass die Ecken unterschiedlich weit vom Betrachter entfernt sind. Zudem steigt der Boden nach vorne an. Doch die Wahrnehmung durch das Guckloch manipuliert uns. Wir denken, dass nicht der Raum verzerrt ist, sondern dass mit den Größen der Menschen etwas nicht stimmt. Eine Illusion, die zeigt, dass das Bild, das wir sehen, erst im Gehirn entsteht. Und manchmal sehr falsch ist.
In einem weiteren Raum geht es darum, wie die Menschen bewusst ihr Gehirn manipulieren. Mit Drogen. Und es geht um psychische Erkrankungen. Von Kranken gemalte Bilder offenbaren einen Blick in ihre Welt. Ein weiterer Raum befasst sich mit dem dunklen Drittel des Tages, an dem unser Gehirn ganz anders funktioniert als im Wachen: im Traum.
Es gibt viel zu lernen bei dieser eindrucksvollen Ausstellung. Und wer schon mal in Münster ist, sollte ein paar Kilometer weiter bestaunen, wie Gehirne zusammenwirken — wenn Kreativität auf wissenschaftliche Erkenntnis trifft. In der Dominikanerkirche bewegt sich in majestätischer Gleichförmigkeit das von Gerhard Richter der Stadt geschenkte Foucault’sche Pendel. Womit der französische Physiker 1851 die Erdrotation nachwies. Ein Phänomen, das unser Gehirn im Alltag nicht wahrnimmt. Richter hat es kreativ in Szene gesetzt.