Kunst Eine Malerin im Spagat zwischen Tradition und Moderne
Die neue Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum widmet sich dem Leben und Werk von Paula Modersohn-Becker.
Wuppertal. Gerade einmal zehn Jahre hatte Paula Modersohn-Becker (1876-1907) Zeit, ihre Kunst zu schaffen. Zu Lebzeiten konnte die Malerin nur zweimal ausstellen. Umso größer war die Überraschung, als man nach ihrem frühen Tod ein gewaltiges Werk im Atelier fand — darunter allein 700 Gemälde.
Nicht zuletzt der Sammelleidenschaft der Familie von der Heydt ist zu verdanken, dass Wuppertal mit 22 Gemälden neben Bremen den größten Bestand an Bildern von Modersohn-Becker besitzt. Ab Sonntag, 9. September, sind sie Teil der neuen Ausstellung im Von der Heydt-Museum. Hinzu kommen fast 30 Leihgaben, die einen Blick erlauben auf Porträts, Selbstporträts, Stillleben und Landschaften - beeindruckende Zeugnisse einer früh gereiften Künstlerin.
Unter der Überschrift „Zwischen Worpswede und Paris“ stellt Kuratorin Beate Eickhoff neben die Malerin die Kollegen aus der ländlichen Künstlerkolonie — ihren Zeichenlehrer Fritz Mackensen, ihren Ehemann Otto Modersohn sowie Heinrich Vogeler und Fritz Overbeck. Das Bild weitet sich mit dem Blick auf die Kunstmetropole Paris, die Modersohn-Becker wiederholt besuchte und in der sie ihre wichtigsten Inspirationen fand. Dafür stehen unter anderem die Werke von Cézanne, Gauguin, van Gogh und Rodin.
„Zwischen Worpswede und Paris“ versteht Beate Eickhoff aber auch als Antwort auf Filme und Bücher der vergangenen Jahre, die unbekümmert frei mit der Biografie der Künstlerin umgingen. Es sei also Zeit, sachlich an das Thema ranzugehen — und das Werk wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Deshalb werden die Bilder von Modersohn-Beckers „O-Tönen“ ergänzt, Auszügen aus ihren Briefen und Tagebüchern.
Aufschlussreich sind auch die Zeugnisse berühmter Zeitgenossen. Zum Beispiel der Dichter Rilke, der der Frühverstorbenen ein lyrisches „Requiem“ widmete: „Dass wir erschraken, da du starbst […] das geht uns an; das einzuordnen wird die Arbeit sein, die wir mit allem tun.“
In der Gesamtschau ergibt sich das Bild einer Frau, deren Leben ein Spagat war— zwischen Kunst und Eheleben, zwischen Tradition und Moderne. In Paris vermisste Modersohn-Becker die Familie in Worpswede, in Worpswede sehnte sie sich nach dem Flair der Großstadt.
„Sie war vielleicht keine Feministin“, beschreibt es Museumsdirektor Gerhard Finckh, „aber sie hat sich emanzipiert.“ Gegen eine männlich dominierte Kunstszene setzte sich Modersohn-Becker durch. Da ihr als Frau der Zugang zur Kunstakademie versperrt war, studierte sie an der Malschule des „Vereins der Berliner Künstlerinnen“. Frucht dieses Eigensinns ist eine zukunftsweisende Kunst. Für Kuratorin Eickhoff lässt die Malerin die überkommenden Vorstellungen von Schönheit und Harmonie weit hinter sich. „Es ging ihr darum, den Menschen zu malen in seiner Einfachheit und Größe.“ Ihren Lieblingsmotiven, Kindern, Alten und einfachen Leuten, hat sie dadurch monumentalen Ausdruck verliehen. Als revolutionär beschreibt Eickhoff die Serie von Aktbildern — eine Domäne, die bis dahin ausschließlich Männern vorbehalten war.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass nicht Modersohn-Beckers Lehrer Mackensen, sondern andere Künstler die Qualität und Selbstständigkeit ihrer Malerei erkannten. Der erste war wohl der Bildhauer Bernhard Hoetger (1874-1949), dessen Skulpturen in der Ausstellung prominent vertreten sind. Nach ihrem Tod machte er August von der Heydt auf die Malerin aufmerksam. Bereits 1913 stellte der Kunstmäzen in seinem Privathaus ihre Bilder aus. Leider wurden viele davon beim Luftangriff auf Wuppertal im Juni 1944 zerstört.