Fluchterfahrungen Abbas Khider ist neuer Mainzer Stadtschreiber

Mainz (dpa) - Eigentlich wollte Abbas Khider nach Schweden. Aber dann blieb er auf seiner Flucht aus dem Irak in Deutschland hängen. „In der deutschen Sprache habe ich eine Heimat gefunden“, sagt der 44-Jährige, der seit Dienstag neuer Mainzer Stadtschreiber ist.

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Khider sei ein großer Schriftsteller, sagt die Mainzer Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD) bei der Vorstellung des Preisträgers, dem bei seiner Antrittslesung im überfüllten Vortragssaal des Gutenberg-Museums alle Herzen zufliegen.

„Alle Ihre Werke, Herr Khider, sind schmerzlich und treffen uns oft ins Mark“, spricht die Kulturdezernentin den Preisträger an. „Sie sind von großer narrativer Kraft.“ Vier Romane hat der Sohn eines Dattelhändlers bisher vorgelegt, angefangen mit der Geschichte seiner jahrelangen Flucht im Debütwerk „Der falsche Inder“ (2008).

Nach seiner Ankunft in Deutschland, als 27-Jähriger, habe er zunächst nur den Traum gehabt, nach Irak zurückzukehren, erzählt Khider. Im Regime von Saddam Hussein habe er nach Gefängnis und Folter nicht bleiben können. Aber als Khider nach dem Sturz des Diktators 2003 endlich wieder nach Bagdad reisen konnte, merkte er, so berichtet er in Mainz, dass der Traum nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hatte. „Da begann ich zu erkennen: Ich muss neue Träume finden. Ich begann, die deutsche Sprache wahrzunehmen und die deutsche Kultur.“

So habe er begonnen, „das Exil zu einem Projekt zu machen und etwas Neues darin zu erfinden, vielleicht das Exil zu verfremden“. Gedichte habe er zunächst noch auf Arabisch geschrieben, das sich mit seiner blumenreichen Sprachwelt auch besonders gut für Lyrik eigne. Aber seinen ersten Roman habe er auf Deutsch schreiben wollen, was gar nicht so einfach gewesen sei: „Ich hatte das Gefühl beim Schreiben, die deutsche Sprache ist wie eine fremde Frau, die mir gegenübersitzt - und die Frau merkt, dass ich total in sie verknallt bin.“

Mit jedem weiteren Buch habe sich dann auch seine Beziehung zur deutschen Sprache verändert. Im Roman „Die Orangen des Präsidenten“ (2011) habe er seine Erfahrungen im Gefängnis verarbeitet. Darüber spreche er nicht gern, aber die deutsche Sprache habe ihm die dafür nötige Distanz zu den Ereignissen gegeben: „Es war etwas Mütterliches dabei, wie eine Art Schutz. Ich hatte danach das Gefühl, ich bin freier geworden.“

Ein Mittel zur Befreiung kann auch das Lachen sein. „Wenn ich über Folter schreibe, muss ich die Leser nicht foltern“, sagt Khider im Gespräch in seiner neuen Stadtschreiberwohnung. Humor, Situationskomik und Ironie seien viel zu wichtig, um nur damit zu unterhalten. Literatur könne mit diesen Mitteln Botschaften vermitteln und „Verbrecher, die unser Leben in eine Hölle verwandeln, der Lächerlichkeit preisgeben“.

„Der 33. Stadtschreiber überschreitet Grenzen und lässt seine Leser an aufwühlenden Erfahrungen teilhaben“, sagt Kulturdezernentin Grosse. „Manchmal geht es bei Abbas Khider derbe zu.“ Gerade in seinem jüngsten Roman „Ohrfeige“ (2016), in dem es um die Untiefen der Asylbürokratie geht, geht das Erzählen ins Groteske. „Diese Eulenspiegeleien finden keinen Halt“, sagt Grosse, „sie kippen wenige Zeilen später ins Tragische.“

Mit seiner Familie im Irak hält Khider über den Internetdienst Skype regelmäßig Verbindung. Seit drei Jahren war er nicht mehr da, aus Sorge, dass er zunächst zur Überprüfung in ein Gefängnis gebracht werden könnte.

Khider lebt zwar in Berlin, will aber die neue Chance in Mainz nutzen, um an seinem fünften Roman weiterzuarbeiten. Es soll darin um den Arabischen Frühling gehen, um die Frauenbewegung in der arabischen Welt und auch um Waffenhändler. Aber die Geschichte verändere sich noch laufend. Khider ist gespannt auf die Begegnungen in Mainz: „Wie das Schreiben ist es eine Leidenschaft von mir, neue Menschen kennenzulernen.“