Carlos Ruiz Zafón und die Freude am Lesen
Berlin (dpa) - Sein Roman „Der Schatten des Windes“ machte den Spanier Carlos Ruiz Zafón zum literarischen Weltstar. Die Erzählung rund um den geheimnisvollen „Friedhof der vergessenen Bücher“ in Barcelona fand allein in der 2003 erschienenen deutschen Übersetzung zwei Millionen Käufer.
2008 folgte „Das Spiel des Engels“, der ebenfalls sehr erfolgreiche zweite Band seiner Barcelona-Tetralogie. Vorige Woche brachte der S. Fischer Verlag mit „Der Gefangene des Himmels“ den dritten Teil in einer Startauflage von 500 000 Exemplaren in die Buchhandlungen. Die Deutsche Presse-Agentur sprach mit Ruiz Zafón über seine Bücher, die Wirtschaftskrise in Spanien und das Unabhängigkeitsstreben seiner Heimatregion Katalonien.
Willkommen in Berlin, Señor Ruiz Zafón, die bisherigen zwei Bände Ihrer Barcelona-Tetralogie waren in Deutschland ja echte Renner. Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg?
Ruiz Zafón: „Schwer zu sagen. Aber ich glaube, dass die deutschen Leser in meinen Büchern genau das finden, was ich mit diesen vermitteln möchte. Es sind Bücher die ein bisschen versuchen, zur Freude am Lesen einzuladen, zur Freude an der Literatur, und ich glaube, dass es in Deutschland genügend gute Leser gibt, die all dies lieben, die die Literatur und den Roman genießen.“
Auch in Ihrem neuen Roman führen sie uns wieder ins alte Barcelona und zu dem geheimnisvollen „Friedhof der vergessenen Bücher“. Was hat es mit dem auf sich?
Ruiz Zafón: „Nun, für mich ist der "Friedhof der vergessenen Bücher" eine Metapher - eine Metapher für viele Dinge, nicht nur für vergessene Bücher, sondern für vergessene Ideen, für die Identität, für das historische Gedächtnis. Ich glaube, dass der "Friedhof der vergessenen Bücher" auf gewisse Weise ein Symbol ist für all die Dinge, die unsere Identität, unser Gedächtnis definieren und das, was uns zum Menschen macht.“
Der „Friedhof der vergessenen Bücher“ erscheint bei Ihnen als ein Heiligtum. Aber jetzt mal ehrlich: Gibt es nicht auch Bücher, die es verdient haben, vergessen zu werden, weil sie einfach schlecht sind?
Ruiz Zafón: „Das mag sein, aber am Ende entscheiden das die Leser. Ich mag mich nicht zum Henker der Bücher aufschwingen. Auch wenn es gute und schlechte Bücher gibt, so glaube ich doch, dass es gut ist, vor allen Büchern Respekt zu haben. Selbst im schlechtesten Buch steckt eine Menge Arbeit von jemandem, der versucht hat, sein Bestes zu geben.“
In „Der Gefangene des Himmels“ führen Sie uns in die finsteren Zeiten des Franco-Regimes, in die Hölle der Festung Montjuic, wo politische Gefangene zu Tode gequält wurden. Wie stark wirkt das Trauma der Diktatur in Spanien noch nach?
Ruiz Zafón: „Ich denke, dass es für jedes Land schwer ist, eine Tragödie vom Ausmaß des Spanischen Bürgerkrieges zu bewältigen, ich glaube, das ist für deutsche Leser leicht zu verstehen. In Spanien blieben viele offene Wunden der Vergangenheit, weil es nach dem Bürgerkrieg keinen Frieden gab, sondern ein Diktatur, die viele Jahre dauerte. In den Jahren des Übergangs zur Demokratie gab es dann fast einen Schweigepakt, dass man die Vergangenheit nicht aufrühren wollte, denn die, die damals die Geschicke lenkten, verstanden, dass dies das Klügste war, um das Land nicht neu in Brand zu setzen. Die Risse in der spanischen Gesellschaft sind immer noch da, wenn auch nicht mehr so extrem wie in den 30er Jahren.“
Es bleibt also bei der Vergangenheitsbewältigung noch viel zu tun?
Ruiz Zafón: „Ich glaube, man kommt Schritt für Schritt voran, aber man kann es niemals allen recht machen. Die heutige spanische Gesellschaft hat sich jedoch schon sehr gewandelt, und ich glaube, dass vielleicht in einer oder in zwei Generationen der Spanische Bürgerkrieg und der Frankismus ihren Platz in der Geschichte gefunden haben werden und man das Thema mit mehr Gelassenheit und Klarheit angehen kann. Das hoffe ich. Aber man weiß es nie.“
Kommen wir zum heutigen Spanien. Wegen der Euro-Schuldenkrise sollen die staatlichen Subventionen für die Kultur um mehr als 30 Prozent gekürzt werden, viele fürchten einen radikalen Kahlschlag. Ist das Kulturleben in Spanien in Gefahr?
Ruiz Zafón: „Die Subventionen für die Kultur, nun, ich glaube nicht, dass das gegenwärtig das Hauptproblem in Spanien ist. Ich mache mir mehr Sorgen um die große Arbeitslosigkeit, die sozialen Einschnitte im Gesundheits- und Bildungswesen und dass eine ganze Generation junger Leute heranwächst, die keine Zukunft hat, keine Perspektive. Das Problem mit den Subventionen für die Kultur ist auch, dass das auf dem Papier erst mal gut klingt aber dass sie in Wirklichkeit ein Nest der Korruption, der Vetternwirtschaft und des Missbrauchs sind. Es ist nicht gut, dass die Kultur von der Politik abhängig ist, dass die Politik die Kultur bezahlt. Die Kultur muss sich alleine aufrappeln, sonst ist sie keine echte Kultur, glaube ich.“
Señor Ruiz Zafón, Sie sind Katalane. Jetzt, in der Krise, strebt Ihre Heimatregion Katalonien stärker denn ja nach Unabhängigkeit von Spanien. Die Regionalregierung in Barcelona plant ein Referendum, die Zentralregierung in Madrid will es auf jeden Fall verhindern.
Ruiz Zafón: „Ich glaube, es muss ein Referendum geben, weil wir sonst nicht wissen, was das Volk wirklich will. Derzeit gibt es viele interessierte Stimmen, die vorgeben, im Namen des Volkes zu sprechen, die sagen "Die Leute wollen dies", "Die Leute wollen jenes", aber das sollen die Menschen doch selber sagen. Der Prozess der Unabhängigkeitsbewegung ist an einem Punkt angekommen, wo wir wissen müssen, was die Bevölkerung Kataloniens, immerhin sieben Millionen Menschen, wirklich will.“
Und wie würden Sie bei einem Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens abstimmen?
Ruiz Zafón: „Ich weiß es nicht. Denn ich habe viele Zweifel und stelle mir viele Fragen, was besser wäre für Katalonien und das Volk von Katalonien. Ich sehe, dass viele Katalanen von der Idee der Unabhängigkeit begeistert sind, und ich verstehe dieses Gefühl, aber andererseits beunruhigt es mich, dass sie nicht an die praktischen und unmittelbaren Auswirkungen denken. Müsste Katalonien aus der Europäischen Union austreten? Aus dem Euro? Was passiert mit den hiesigen Unternehmen? Müssten die anfangen, Zölle zu zahlen? Keiner weiß es. Ich glaube, dass man in Spanien und in Katalonien nicht klar darüber spricht, wie so ein Prozess wirklich ablaufen würde.“
Zurück zur Kunst. Viele Ihrer Leser fragen, ob Ihre Romane auch verfilmt werden. Immerhin haben Sie ja früher auch als Drehbuchautor gearbeitet. Werden wir den „Schatten des Windes“ mal auf der Leinwand sehen?“
Ruiz Zafón: „Nicht die Romane aus dem Quartett des "Friedhofs der vergessenen Bücher". Für mich sind das Bücher über Bücher, Bücher über die Literatur, die Schrift, das Lesen, über die Welt der Sprache, des geschriebenen Wortes, und da habe ich schon vor langer Zeit entschieden, daraus weder einen Film noch eine Fernsehserie zu machen. Nicht dass ich etwas gegen das Medium hätte, ich kenne diese Welt, ich war, um das mal so zu sagen, in der Küche drin und weiß, wie man die Gerichte zubereitet. Aber ich möchte dieses Material dafür nicht benutzen, und irgendwie stört mich auch die Vorstellung, dass alles verfilmt werden muss. Warum kann ein Buch nicht einfach ein Buch sein?“