Der lange Schatten des Thomas Bernhard
Wien (dpa) - Vom Nestbeschmutzer zum Säulenheiligen: So wird die Wandlung von Thomas Bernhard (1931-1989) in Österreich oft beschrieben.
Der Schriftsteller polarisierte Zeit seines Lebens wie kaum ein anderer. Viele Jahre nach seinem Tod ist sein Schaffen in der Literatur- und Theaterwelt aber unumstritten. Die Entrüstung ist der Verehrung gewichen. Es ist davon auszugehen, dass Bernhard mit seinem Imagewandel nicht glücklich gewesen wäre. Der Autor lebte für die Provokation.
Wien feiert in diesen Wochen den Büchner-Preisträger, der am 9. Februar 85 geworden wäre. Sein Roman „Kalkwerk“ wurde als Hörspiel im Radio ausgestrahlt. Der Roman „Alte Meister“ wird von Regisseur Dušan David Pařízek im Wiener Volkstheater aufgeführt. Die Geschichte eines Musikphilosophen, der drei Jahrzehnte lang immer wieder im Wiener Kunsthistorischen Museum sitzt, um dort Tintorettos „Weißbärtigen Mann“ zu betrachten, wird sogar mit eigenen Führungen gewürdigt.
Als Höhepunkt gilt die Uraufführung von Bernhards „Auslöschung“ nach einer Bühnenfassung von Oliver Reese im Theater in der Josefstadt. Das letzte erschienene und mit 651 Seiten dickste Prosawerk handelt von einer Familiengeschichte mit seinen typischen Zutaten: Tod, Einsamkeit, Krankheit. Der nach Rom ausgewanderte Franz-Josef Murau ringt nach dem tödlichen Unfall seiner verhassten Eltern und seines Bruders mit der Rückkehr in die Heimat.
Dereinst sorgte Bernhard für Theaterskandale. Kein Stück hat die Alpenrepublik so erschüttert wie die Premiere von „Heldenplatz“ im November 1988 im Wiener Burgtheater. Die Geschichte der Nazi-Vergangenheit des Landes spaltete die Nation. Bernhard selbst ließ es sich nicht nehmen, damals schon todkrank, das mehr als 30-minütige Buh- und Jubel-Gewitter nach der Vorstellung über sich ergehen zu lassen. Wenig später starb der Schriftsteller.
Die aufgeladene Stimmung beflügelte den damaligen Direktors des Burgtheaters und langjährigen Weggefährten Bernhards, Claus Peymann. „Das war die Chance, dadurch kam es zur andauernden, mehrjährigen Explosion. Sie ahnen ja nicht, wie sehr er die Wiener Seele verstanden hat“, sagte der 78-jährige Intendant des Berliner Ensembles kürzlich.
Während Bernhards Aufführungen heutzutage keine Empörung mehr auslösen, sind die „Heldenplatz“-Auswirkungen für Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann noch immer zu spüren: „Vielleicht trug der Skandal auch dazu bei, der so offen zur Schau getragenen Kunstfeindlichkeit ein Stück weit den Garaus zu machen.“ In der Zwischenzeit sei „Heldenplatz„ mehr als 100 Mal gespielt worden und in das Mythenrepertoire der Burg eingegangen.
Was nach all den Jahren übrig bleibt, ist die geniale Sprache, die Bernhard zu Papier brachte. Die langen, verschachtelten Sätze voller Finesse und Witz trotzen den stets düsteren Gedankenläufen. Seine apodiktischen Feststellungen werden immer wieder von verschiedenen Seiten wiederholt. Diese oft über mehrere Seiten langen Sätze seien im Theater wie eine Waffe, meint Regisseur Reese, der auch Intendant des Frankfurter Schauspiels ist. „Bernhard als Autor kann man nicht biegen, nur folgen.“ Mit größter Präzision müssten die Schauspieler auf der Bühne gestochen scharf „jedes Komma, jeden Punkt“ vortragen. Das mache die Schwierigkeit, aber ebenso den Reiz seiner Stücke aus. Bernhard sei keine leichte Kost, sondern „Theater für Erwachsene“.
Das kommt auch beim Publikum an. Seine Dramen finden sich in allen großen Theaterhäusern in regelmäßigen Abständen. Auch gelesen wird Bernhard noch immer bestens: Rund 90 Titel von und über Bernhard sind im Suhrkamp Verlag lieferbar. Seit 1963 beläuft sich die Gesamtauflage auf fast vier Millionen Bücher. „Der Schatz seiner Werke ist noch reich“, sagte der Cheflektor des Verlags, Raimund Fellinger. Erst im Dezember erschien seine Werkausgabe mit 22 Exemplaren. Für 2016 sind zwei weitere Veröffentlichungen geplant.