Der Schatten auf den Manns
Biografie der Nelly Mann legt eine Katastrophe offen.
Düsseldorf. Geboren wurde sie als uneheliches Kind einer Dienstmagd in Ahrensbök. Sie und ihre Schwester wurden von dem späteren Ehemann ihrer Mutter, dem Fischer Kröger in Niendorf, adoptiert. Sie war Kellnerin, und einer der Gäste brachte Glanz und zunächst Glück in ihr Leben. Er hieß Heinrich Mann, war 27 Jahre älter als sie und der Bruder des späteren Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann.
Emmy Johanna Westphal (1898-1944) arbeitete in einer Schankwirtschaft. Von hier über das glamouröse Berlin der 20er Jahre nach Nizza, Los Angeles und Beverly Hills - das ist ein Weg, der zum Gipfel führt, Nelly indessen stürzt in den Abgrund. Ihre Strategie sei es gewesen, schreibt Kirsten Jüngling in ihrer Biographie, "Widrigkeiten herunterspielen, möglichst nicht beim Namen nennen, pragmatisch erscheinen, wenigstens gute Stimmung machen".
Was waren die Probleme? Zunächst waren sie und ihr Mann keine besonderen Gäste in den USA, sondern waren als Exilsuchende emigriert. Außerdem: Nelly war ungebildet - in dieser Familie geradezu unerhört -, sie war in Berlin eine "Bardame" gewesen, unselbstständig, verfügte über keinerlei Kenntnisse, mit denen man sich über Wasser hätte halten können.
Heinrich Mann hat dieses Milieu geschätzt ("Der blaue Engel", "Henri IV"). Doch im Alter, in Amerika, wurde Armut auch für ihn ein Problem. In Beverly Hills war er ein Jahr lang Skriptwriter gewesen. Aber seine Romane wollte niemand haben. Seinen 70. Geburtstag musste das Ehepaar in Gesellschaft von 45 europäischen Emigranten auf Pump feiern.
Nellys zweites Dilemma war der Alkohol. Sie hatte nicht einmal die für chronische Trinker typischen Tricks auf Lager, sich in Gesellschaft zurückzuhalten, und da sie unentwegt stürzte, musste sie Ärzte immerfort anlügen. Nur Katia und Thomas Mann konnte sie nicht hinters Licht führen.
Daraus resultierte ihr drittes Problem: die Verachtung der gesamten Großfamilie Mann. Thomas zeigte sich zwar bereit, eine finanzielle Bürgschaft für Heinrich zu übernehmen, aber für die "Trulle", das "schreckliche Weib" nicht. Und Thomas schrieb einmal gar: "Eine Frau hat er, die ist leider eine arge Hur’."
Wie und was ihr - aber auch Heinrich - alles an Demütigung widerfuhr, listet Jüngling sauber auf. "Sie fiel einfach aus dem Kreis der anderen Schriftstellerinnen-Gattinnen heraus", erklärt Kirsten Jüngling ihr Dilemma auch aus dieser Sicht. Ihre Rolle sei es gewesen, die Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, also sehr viel zu organisieren.
Nelly habe man in diesen Kreisen einfach nicht vorzeigen können, wenn sie es etwa zugelassen habe, dass sich beim Nachmittagskaffee ein Pudel ungestraft an ihren Beinen rieb. Klaus Manns ätzende Verachtung wiederum hat Heinrich Mann Spaß gemacht.
Das finanzielle Desaster kulminierte, als Nelly einen Autounfall verursachte, bei dem sie angeblich alkoholisiert war, was sie bestritt. 1944 macht sie gemeinsam mit Salka Viertel Weihnachtseinkäufte Jüngling: "So sehen halbherzige letzte Versuche aus, sich am Leben zu halten." Am 17. Dezember stirbt Nelly an ein Veronal. Das hatte sie zuerst am 17. Dezember 1938 versucht und war gescheitert. Das mündete in einen "schlimmen Entzug", so Jüngling.
"Es war nicht leicht, das zu recherchieren und diese Tragödie zu schildern." Leider hat der Verlag nicht die Sorgfalt der Autorin aufgebracht, was Orthografiefehler und falsche Zeichensetzung erkennen lassen. Das haben Kirsten Jüngling und ein so einfühlsames Werk nicht verdient. Kirsten Jüngling: "Ich bin doch nicht nur schlecht. Nelly Mann." 239 S., geb., Propyläen, 22,90 Euro