Die Taxifahrerin mit Stift

Karen Duve war 13 Jahre eine Chauffeurin, bevor ihr ein literarischer Bestseller gelang.

Hamburg. Schaut man aus Karen Duves Wohnzimmerfenster, eröffnet sich ein surreales Bild: Weite Wiesen, ein leuchtend gelbes Rapsfeld, und am Haus entlang führen grün bewachsene Gleise ins Nirgendwo. Ein Versprechen von Bewegung und Ferne - und zugleich ist man ganz hier, in diesem einsamen ehemaligen Bahnhofsgebäude. Schon lange fahren die Züge nur noch bis St. Michaelisdonn, ein kleiner Ort in Schleswig-Holstein.

Karen Duve und ihre englische Bulldogge Bully warten auf dem schmalen Bahnsteig. Mit dem Kombi geht es nach Blangenmoor - hier liegt der alte, von Wein umrankte Bahnhof, das Domizil der 46-jährigen Schriftstellerin. Kater, Pferd, zwei Maultiere und diverse Hühner finden hier auch noch Platz.

Vor acht Jahren hat Karen Duve sich diesen Ort ausgesucht. Kurz nachdem sie 1999 mit dem "Regenroman" Aufsehen erregte. Im gleichen Jahr kam auch ein Sammelband mit Erzählungen heraus.

1999 ist so etwas wie das Gründungsjahr ihrer Schriftstellerexistenz. Der Erfolg erscheint ihr alles andere als selbstverständlich: "Wenn man über zehn Jahre Taxi gefahren ist und schon drei Bücher eingeschickt und ohne positive Resonanz zurückbekommen hat, dann rechnet man nicht mehr damit."

Sie habe gedacht, dass es ein Fehler sei, schreiben zu wollen. Dass das Leben eben kein Film sei, "in dem man die Hauptperson ist, und am Ende wird noch alles gut."

Dreizehn Jahre arbeitete Karen Duve als Taxifahrerin. In ihrem neuen Roman "Taxi" kann sie aus dem Vollen schöpfen. Die Taxizeit liegt lange zurück. Doch die Taxifahrerin Duve und die Schriftstellerin Duve haben viel gemein "Taxifahren ist eine ziemlich gute Mischung von kompletter Einsamkeit und wohldosiertem mitmenschlichen Kontakt."

Ihr Blick ist offen und sie lacht, als sie sagt, dass man für den Job keine ausgeprägte soziale Kompetenz brauche. Und so verhalte es sich auch mit dem Schreiben: "Es war eine Sache, die man ohne andere machen konnte."

Das sprach schon immer dafür. Das Alleinsein ist existentiell: Um sich wohl zu fühlen, klar denken zu können. Auch wenn sie nicht schreibt. So anstrengend der Taxijob auch war, niemand hat ihr gesagt, wann sie zu kommen und zu gehen hat, und das war und ist ihr sehr wichtig. "Irre anstrengend" darf es zwischendurch sein.

Die vielen Lesungen, Pressetermine, Auslandsreisen während ihres ersten Erfolgs hat sie genossen. Aber wenn "es einfach nicht mehr geht", ist heutzutage Schluss. Die Schriftstellerin hat von der Taxifahrerin profitiert: "Taxi fahren fördert sehr dieses Muster-Sehen", sagt Karen Duve. Der sehr genaue Blick auf die Verhaltensweisen der Menschen, die alltäglichen Zumutungen, die sie einander zufügen, ist der Kern ihrer Literatur.

Der neue Roman reiht Miniaturen alltäglicher zwischenmenschlicher Monstrositäten aneinander, böse und komisch. Immer wieder thematisiert sie das Verhältnis von Männern und Frauen. Oft greife hier das Muster der Nicht-Achtung von Realität - missachtet werde die Realität der Frau. Dass ein Mann glaube, es ginge allein um ihn und seine Realität, sei noch stets verbreitet.

Karen Duve beugt sich vor, lehnt sich wieder zurück. "Ich wundere mich immer, dass die Leute diese Muster nicht sehen!" Viele wollten es nicht sehen, wie in dem Film "Matrix": "In der Matrix ist es schön warm und kuschelig. Wenn man sich der Sache stellt, wird es super unbequem und unkuschelig."

Karen Duve will nicht kuscheln. Wenn es ihr dringlich erscheint, nutzt sie das Privileg der Autorin und äußert ihre Meinung öffentlich. Nachdem Michel Friedman 2003 Zwangsprostituierte und Koks orderte, schrieb sie im "Spiegel" einen fulminanten Artikel: Sie fand drastische Worte.

Hier, am alten Bahnhof, herrscht gerade keine Dringlichkeit. Hier ist ein guter Ort, um das richtige Maß zu finden. Um aufzubrechen: Heute nach Berlin, danach zu vielen Lesungen. Und wieder zurück zu kommen.

Karen Duve: "Taxi". Roman, Eichborn, 320 S., 19,95 Euro