Buchmesse Georgien drängt nach Europa - Deutschland zu Gast in Tiflis

Tiflis (dpa) - An den Ständen in Halle 11 in Tiflis drängen sich viele junge Menschen.

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Auf der Buchmesse in der Hauptstadt Georgiens, deren Ehrengast bis Sonntag erstmals Deutschland war, haben die einheimischen Verlage ihre Produkte fünf Tage lang mit Rabatten verkauft. Das ist für Besucher attraktiv. Ruhiger ging es am deutschen Stand zu. Denn von den großen Klassikern mal abgesehen, liegen nur wenige Autoren aus Deutschland bislang in georgischer Übersetzung vor.

Das gilt noch mehr in umgekehrter Richtung. Doch dies will die frühere Sowjetrepublik als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse im Oktober ändern. Seit 2010 bereitet das Land im Kaukasus den großen Auftritt auf der weltweit beachteten Kulturbühne in Frankfurt vor. Man will sich erneut und für immer in Europa verankern. Vor genau 100 Jahren - Ende Mai 1918 - hat Georgien erstmals eine eigene Republik ausgerufen und Anschluss an Europa gesucht. Drei Jahre später marschierte die Rote Armee ein.

Nicht nur über dem Parlament in Tiflis weht heute neben der georgischen auch die EU-Flagge. Überall ist die blaue Fahne der Gemeinschaft präsent, deren Mitglied Georgien gern werden würde. „Wir haben eine Chance“, glaubt Lewan Berdzenischwili, der als Vorkämpfer für die Rückgewinnung der georgischen Unabhängigkeit von 1984 bis 1987 in einem sowjetischen Straflager verbrachte. Seine Erfahrungen im Gulag hat er in einem Roman beschrieben, der zur Frankfurter Buchmesse auf Deutsch erscheint.

Fast 150 Übersetzungen allein ins Deutsche hat die Republik mit ihren nur knapp vier Millionen Einwohnern in den vergangenen Jahren finanziell gefördert. Etwa 70 Autoren kommen zur Frankfurter Messe und in rund 30 andere Städte, auch in Österreich und der Schweiz. Das lässt sich das immer noch recht arme Land, dessen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nur auf etwa ein Zehntel von dem Deutschlands kommt, rund sechs Millionen Euro kosten.

„Wir möchten, dass man uns wieder auf der literarischen Landkarte speichert“, sagt Irine Chogoshvili, die für das Übersetzungsprogramm verantwortlich ist. Georgien, seit dem fünften Jahrhundert christlich, ist ein alter Kulturraum mit eigener kaukasischer Sprache. Die Buchstaben sind weder mit dem lateinischen noch kyrillischen Alphabet verwandt.

Darin wurzelt die Identität des eurasischen Landes, das an der Schnittstelle zwischen Okzident und Orient seit vielen Jahrhunderten Spielball der Großmächte war - von den Arabern bis zu den Russen. Fast drei Jahrzehnte nach der erneuten Unabhängigkeit herrscht zwischen Tiflis und Moskau Eiszeit. Seit dem „Fünf-Tage-Krieg“ 2008 um die von Georgien abtrünnigen und von Russland kontrollierten Gebiete Südossetien und Abchasien sind die diplomatischen Beziehungen eingefroren.

Im Georgischen Nationalmuseum gibt es eine große Abteilung, die in Dunkelheit und mit düsterer Musik 70 Jahre „sowjetischer Besetzung“ zwischen 1921 und 1991 dokumentiert. Demnach wurden 80 000 Menschen erschossen und 400 000 Menschen deportiert, vor allem in der Terrorzeit unter Stalin. Er stammt wie etliche andere führende Vertreter der damaligen Moskauer Führungsspitze jedoch selbst aus Georgien und hat in seinen Jugendjahren sogar romantische Gedichte geschrieben. In seiner Geburtsstadt Gori - unweit von Tiflis - findet sich immer noch ein Museum für Stalin. Und ältere Menschen hängen der Sowjetzeit oft noch nach.

Das gehört zu den Widersprüchen Georgiens, dessen einflussreiche orthodoxe Kirche als konservativ und eher russlandfreundlich gilt. Die Jugend dagegen ist klar prowestlich. Die stolze Vielvölkerstadt Tiflis wird heute zwischen pittoresk-verfallenden Altbaufassaden und protzigen Neubauten mit ihren hippen Clubs und Lokalen schon als „neues Berlin“ gehypt.

In einem der schönsten Jugendstil-Paläste, der einst einem Brandy-Fabrikanten gehörte, ist seit 1921 das „Writer's House“ untergebracht. Dort traf sich noch in den frühen Stalin-Jahren die avantgardistische Künstlerbewegung „Blaue Hörner“. Deren Mitbegründer Paolo Iaschwili wurde dann 1937 von Stalins Leuten so unter Druck gesetzt, dass er sich im Palast spektakulär im Obergeschoss erschossen hat. Sein Blut soll einen ausgestopften Löwen bespritzt haben - das Tier ist jetzt noch dort zu sehen.

Die Dichter der „Blauen Hörner“ - aus dem Horn trinken die Georgier traditionell gern auch ihren Wein - sind bei jungen Menschen immer noch populär. Dass fast alle Mitglieder in der Stalinzeit erschossen wurden, wissen aber viele nicht, sagt Natascha Lomouri. Die Leiterin des Schriftstellerhauses will dort jetzt ein multimediales Lernzentrum aufbauen - zusammen mit der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“. Noch fehlt dafür - wie so oft in Georgien - das Geld.