Herta Müller: Die Erforscherin geschundener Seelen
Herta Müller hat am eigenen Leib eine Diktatur erlebt. Am Samstag wird die Schriftstellerin 60.
Düsseldorf. „Ich habe keine Mission“, sagt Herta Müller oft. Nun, sagen wir: Die Schriftstellerin, die auf Podien und in Texten immer wieder auf die Unrechtsregime der Welt weist, hat sich die Mission nicht ausgesucht.
Auf ihrer Lebensplanung stand ja nicht einmal das Schreiben.
Sie gehört zur deutschsprachigen Minderheit in ihrem Geburtsland Rumänien und wehrt sich schreibend, als die Schikanen des Ceausescu-Regimes unerträglich werden.
„Ich reagierte auf die Todesangst mit Lebenshunger. Das war ein Worthunger. Nur der Wortwirbel konnte meinen Zustand fassen“, beschrieb sie die Anfänge in ihrer anrührenden Vorlesung zum Literatur-Nobelpreis 2009.
Der Geheimdienst Securitate will sie Ende der 70er Jahre als Spitzel werben. Als Reaktion auf ihre Weigerung wird das Gerücht gestreut, sie sei längst in Securitate-Diensten, das isoliert sie bei Freunden und Kollegen. In der Maschinenfabrik, in der sie als Übersetzerin arbeitet, gesteht man ihr nicht mal mehr einen Schreibtisch zu.
Sie wird entlassen, schlägt sich als Lehrerin, Kindergärtnerin und mit Nachhilfestunden durch. Aus Verzweiflung schreibt sie — gegen Verfolgung, Denunziation, Einsamkeit.
Zart sind die Worte, kraftvoll die Bilder, präzise die Analyse, wenn sie schreibt, was ein totalitäres Regime aus einem Menschen macht, wie es seinen Blick auf die Welt, seine Sprache, seine Seele zusammenpresst. Sie habe „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit gezeichnet“, heißt es in der Würdigung des Nobelpreis-Komitees.
Das zeichnet schon ihren Debütroman „Niederungen“ aus — über das düstere Leben in ihrem Heimatort Nitzkydorf, der vier Jahre gar nicht und 1982 nur zensiert erscheinen darf. Die Schikanen gegen die „Nestbeschmutzerin“ verschärfen sich.
1987 reist Herta Müller mit ihrem damaligen Mann, dem Schriftsteller Richard Wagner, nach Deutschland aus. „Ich war mit den Nerven so fertig, dass ich das Lachen vom Weinen nicht mehr unterscheiden konnte“, sagt sie bis heute.
Doch der Westen empfängt sie nicht mit offenen Armen. Der Bundesnachrichtendienst hält sie für eine Spionin, parallel habe sie Todesdrohungen vom rumänischen Geheimdienst erhalten, erzählt sie. Doch sie findet Platz und Anerkennung im Literaturbetrieb.
2009 erscheint ihr Hauptwerk „Atemschaukel“, in dem sie beschreibt, wie ein Mann fünf Jahre in einem stalinistischen Arbeitslager in der Ukraine überlebt. Vorbild für die Figur ist der Lyriker Oskar Patior (1927 — 2006), der ihr von seiner Zeit im sowjetischen Lager nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt. Was ihr der Freund verschweigt: Er wurde von 1961 bis 1968 bei der Securitate als IM Otto Stein geführt. Herta Müllers Vertrauen ist einmal mehr erschüttert.
Die literarische Erforscherin geschundener Seelen ist auch Schöpferin heiterer Kurzgedichte, für die sie Wörter aus Zeitschriften ausschneidet und zu Zeilen von surrealem Witz zusammensetzt. Darin „telefoniert Vater mit den Fliegen“, folgt „der Mann vom Geheimamt“ dem „Element Frank“, ist „Milch der Zwilling von Teer in weiß“.
Die Frau, die immer in strengem Schwarz auftritt, sagt von sich, sie sei ein lustiger Mensch. Doch den Humor „kann ich mir in meinen anderen Büchern, in denen es um die Diktatur geht, nicht leisten“. Die grauenhafte Wirkung dieser menschenverachtenden Systeme ist ihr Lebensthema.
Am Samstag wird Herta Müller, die nicht müde wird, die Freiheit des Geistes zu fordern und zu feiern, 60 Jahre alt.