Interview mit Kulturinfarkt-Autor Dieter Haselbach: Weniger ist mehr
Die Autoren der Streitschrift „Der Kulturinfarkt“ haben eine hitzige Debatte ausgelöst. Einer von ihnen erklärt, warum.
Berlin. Eine Welle der Empörung schlägt den Verfassern des Buches „Der Kulturinfarkt“ entgegen. Die vier Autoren fordern darin einen radikalen Umbau des deutschen Kulturfördersystems. Auf die Hälfte der Theater, Museen, Orchester, könnte man ihrer Meinung nach verzichten. Ein „Gedankenexperiment“ sei das, sagt einer der Autoren, der Soziologie-Professor und Unternehmensberater Dieter Haselbach.
Haben Sie schon Drohbriefe erhalten, seit Ihr Beitrag im „Spiegel“ erschienen ist?
Haselbach: Ich habe noch nicht in den Briefkasten geschaut. Aber ganz erstaunlich ist die Reaktion besonders führender Kulturverbände. Unser Gedankenexperiment — was wäre, wenn 50 Prozent der Institutionen geschlossen würden — wurde umgedreht: Die Autoren wollen 50 Prozent des Kulturetats kürzen und haben keine Ahnung. Ich empfinde es auch als bedrohlich, wenn es dahin geht zu sagen, die Autoren bekämen doch auch öffentliches Geld für ihre Arbeit, daher sollten sie besser schweigen. Das ist Kulturstalinismus.
Halbierung der Zahl der Theater, Museen, Bibliotheken — meinen Sie das wirklich ernst, oder ist es eine provokative Überspitzung, um wachzurütteln?
Haselbach: Man muss schon ziemlich viel tun, um gehört zu werden in der heutigen kulturpolitischen Diskussion, weil sie so betoniert ist. Wir schlagen vor, dass man eine ernsthafte Diskussion darüber führt, in welche Richtung und wofür kulturelle Gelder fließen sollen. Und wenn es hilft zu sagen, die Halbierung wäre als Gedankenexperiment zu benutzen, dann ist erreicht, was wir wollen.
Also ist das eher ein Gedankenexperiment als eine in Stein gemeißelte Forderung.
Haselbach: Ja, selbstverständlich. Wer wäre denn der Adressat einer solchen Forderung? Wir haben ja keinen kulturstaatlichen Zentralismus.
Das Argument der Subventionsverteidiger ist, die Kultur funktioniere nicht nach den Regeln der Marktwirtschaft — schließlich habe sie auch einen Bildungsauftrag.
Haselbach: Das Argument ist nicht haltbar. Der Kulturkonsument ist doch auf einem Markt. Er entscheidet sich, ob und welche Kulturveranstaltung er besucht oder ob er stattdessen essen geht. Das sind marktwirtschaftliche Entscheidungen, und da fließt Geld. Insofern ist es nicht ehrenrührig, davon zu sprechen, dass Kulturangebote sich auf einem Markt bewegen. Man müsste aber darüber sprechen, was und wie gefördert wird. Ich halte die Entgegensetzung von hehrer Kultur und bösem Markt schlicht für eine interessengeleitete Polemik.
Kürzungen führen zu Massenentlassungen etwa in Theatern, warnt der Bühnenverein. Haben Sie das bedacht?
Haselbach: Man darf nicht davon ausgehen, dass Kulturangebote schon dadurch gerechtfertigt sind, dass sie Beschäftigung schaffen. Da gibt es möglicherweise effizientere Programme. Kultur ist kein Beschäftigungsprogramm.
Erst die Finanzierung durch die öffentliche Hand ermögliche eine demokratische Entwicklung der Kultur, sagen Ihre Kritiker. Was meinen Sie dazu?
Haselbach: Dann sollten wir konsequenterweise auch eine Diskussion darüber führen, welche Kulturangebote gefördert werden. Wenn wir betrachten, was in unserer Gesellschaft kulturell passiert und welch kleiner Ausschnitt institutionell gefördert wird und was alles nicht, dann ist das notwendig. Unser Buch haben wir geschrieben, um eine solche Diskussion wieder mal anzustoßen, nachdem viele Jahre programmatisch in der Kulturpolitik nichts passiert ist.