John le Carré trifft auf eine neue Spionagewelt
Berlin (dpa) - John le Carré weiß, dass er einer anderen Ära entstammt. Als er sein neuestes Buch schrieb, „Empfindliche Wahrheit“, war er nicht sicher, ob es auch veröffentlichen würde.
Der Grund: „Ich habe ein großes Problem mit modernen Kommunikationsmitteln“, bekannte der Schriftsteller. Es sei schwer, jetzt einen Agenten-Thriller zu schreiben, wenn man nicht verstehe, wie die Systeme für Überwachung, Ortung und Kommunikation funktionieren.
Nach den Enthüllungen des Informanten Edward Snowden dürfte auch der inzwischen 82-jährige le Carré ein klareres Bild von der neuen Geheimdienstwelt haben - aber „Empfindliche Wahrheit“ war da längst fertig und sogar schon im Original veröffentlicht. Deutsche Leser mussten auf die Übersetzung rund ein halbes Jahr warten.
Der Respekt des großen alten Mannes des Spionage-Romans vor modernen Technologien ist verständlich. In den 50er Jahren, als er sich für kurze Zeit selbst als britischer Agent in Deutschland versuchte, war Geheimdienstarbeit noch voll und ganz ausschließlich das Terrain von Menschen, nicht Computern.
„Spionieren heißt warten“, schrieb le Carré mehr als einmal. Warten auf den Agenten, der es vielleicht nie zum Treffpunkt schafft. Warten auf die Schritte im Korridor, während man Papiere vor einem Tresor abfotografiert. Aus dieser zutiefst menschlichen Mischung von Angst, Adrenalin, Liebe, Lügen und Verrat speisten sich die mehr als 20 Bücher, die John le Carré in einem halben Jahrhundert veröffentlicht hat. Deswegen trifft er auch in „Empfindliche Wahrheit“ sofort den menschlichen Kern in der heutigen Spionagewelt, die nur auf den ersten Blick von Computern dominiert wird.
Wie viele, viele Spionageromane zuvor beginnt das Buch in einem Hotel. Ein Mann läuft nervös in seinem Zimmer in einer Bettenburg umher. Er ist eigentlich kein Agent, nur ein harmloser Beamter des britischen Außenministeriums, doch hier, in Gibraltar, ist er unter falschem Namen in einer geheimen Mission unterwegs. Ein islamistischer Waffenkäufer soll entführt werden. Diese Nacht-und-Nebel-Aktion wird ihn später noch einholen - denn wie so oft ist alles nicht das, was es scheint.
Am Anfang war der Ost-West-Konflikt das Spielfeld für le Carrés Geschichten. Mit dem Ende des Kalten Krieges schrieb er über Drogendealer, korrupte Politiker, Untaten von Pharma-Firmen in Afrika - und von Buch zu Buch schwindet seine Toleranz für die dunklen Seiten des Westens. Er ist seit Jahren ein scharfer Kritiker des Krieges gegen den Terror - und seine jüngsten Bücher lesen sich an manchen Stellen immer wieder wie Pamphlete. Auch in „Empfindliche Wahrheit“ ist es ein übles Geflecht aus korrupten Politikern und einer privaten Sicherheitsfirma, das schnell im Hintergrund durchscheint. Doch selbst wenn er in politische Untiefen eintaucht, bleibt le Carré ein Meister der Spannung. Denn am Ende sind es immer noch die Menschen, die in seinen Büchern kämpfen.
John le Carré: Empfindliche Wahrheit, Ullstein Buchverlage, Berlin, 2013, 391 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3550080364