Verändertes Leseverhalten Käuferschwund beunruhigt Buchbranche

Frankfurt/Leipzig (dpa) - Auf den beiden großen Buchmessen des Landes in Leipzig und Frankfurt verbreitet die Branche gerne Optimismus. So hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zuletzt regelmäßig stabile Zahlen verkündet.

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Beim Branchentreff im März muss sich der Dachverband jedoch etwas anderes einfallen lassen.

Dessen eigene Marktforschung hat im Januar dramatische Zahlen zum Rückgang von Buchkäufern präsentiert und damit Verlage und Händler regelrecht aufgeschreckt.

Danach hat der deutsche Publikumsmarkt (ohne Schul- und Fachbücher) in den Jahren 2012 bis 2016 mehr als sechs Millionen Buchkäufer verloren. Ein Trend, der sich auch im ersten Halbjahr 2017 fortgesetzt hat. Die Entwicklung hat erst mit Verspätung so richtig Aufmerksamkeit erhalten, da die Umsatzzahlen in der Branche immer noch recht stabil sind. Die Stückzahl der verkauften Bücher ist nur geringfügig zurückgegangen, weil weniger Käufer insgesamt mehr und teurere Bücher erwerben.

Das bedeutet nicht nur eine wachsende Schere im Kaufverhalten. Fast noch beunruhigender für die Buchbranche ist, dass sich das Leseverhalten verändert. Die Zahl der Menschen, die mindestens einmal pro Woche ein Buch in die Hand nehmen, ist nach einer Allensbach-Untersuchung (AWA-Studie 2017) von 49 Prozent im Jahr 2012 auf 42 Prozent im vergangenen Jahr gefallen.

Der Rückgang betrifft besonders die junge (14-29 Jahre) und mittlere Generation (30-59 Jahre). Zugleich hat der Trend zum weniger Lesen von Büchern auch die Menschen mit höherer Bildung erfasst. „Die Branche nimmt die Entwicklung sehr ernst“, sagt Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. „Die Zahlen sehen relativ bedrohlich aus“, konstatiert auch Anke Vogel vom Institut für Buchwissenschaft der Universität Mainz.

Der Börsenverein lässt derzeit die genauen Motive für den Käuferschwund mit Befragungen untersuchen. Ergebnisse sollen im Juni vorliegen. Als eine mögliche Ursache gilt die wachsende Bedeutung der sozialen Netzwerke wie Facebook, WhatsAp und Instagram oder von Streamingdiensten wie Netflix. Sie konkurrieren mit dem Buch und nehmen viel Zeit weg. Zugleich hat sich das gesamte Medienverhalten auch durch neue Anforderungen in der Arbeitswelt verändert. Buchexpertin Vogel sieht daher „Multikausalitäten“ für den „Rutsch“ in Richtung Bildmedien.

Auf dem Smartphone, dem inzwischen wichtigsten Begleiter des Menschen, lässt sich jedenfalls auch bei gutem Willen nur schwer ein Buch lesen. Zugleich hat sich das E-Book - auch das ein Ergebnis der jüngsten Studien - nicht einmal bei den digital-affinen jungen Menschen im größeren Maß durchgesetzt.

Die Entwicklung hat deshalb die Verlage nicht völlig überrascht, da seit Jahren schon über die Krise des (gedruckten) Buchs gesprochen wird. Erste Gegenbewegungen - wie den Trend zum bewussten Lesen („slow reading“) in einem immer hektischer werdenden Alltag - gibt es schon. „Die Sehnsucht der Menschen nach diesen Oasen der Entschleunigung und Ruhe ist hoch“, glaubt Skipis und erkennt hier eine Chance.

Für Vogel hat das Buch vor allem für das vertiefte Lesen von Informationen weiterhin zentrale Bedeutung. Die Wissenschaftlerin sieht die Schulen in der Verantwortung. Anders als in Skandinavien oder in den USA, wo „deep reading“ („vertieftes Lesen“) Unterrichtsfach ist, gebe es in Deutschland über die Grundschulen hinaus keine individuelle Leseförderung. Die Lesekompetenz müsse gerade für bildungsferne Kinder langfristig gestärkt werden, fordert sie.

Studien zeigen, dass Heranwachsende durchaus noch für das Lesen von Büchern zu motivieren sind. Unter den 12- bis 19-Jährigen liegt die Zahl derer, die zum Vergnügen lesen, seit Jahren konstant um die 40-Prozent-Marke. Jedes zweite Mädchen und jeder dritte Junge liest regelmäßig Bücher, wie die JIM-Studie 2017 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest ergab.

Auch die Verlage wollen in den Zeiten der Bilderflut nicht aufgeben. „Das Buch ermöglicht die eingehende Auseinandersetzung“, schrieb der Chef der Verlagsgruppe S. Fischer, Jörg Bong, Anfang des Jahres in der „FAZ“.