„Kunst der Erinnerung“ - Literaturnobelpreis für Modiano
Stockholm (dpa) - Der wichtigste Literaturpreis der Welt geht 2014 an den Franzosen Patrick Modiano, der für Geschichten aus dem von Nazis besetzten Paris bekanntwurde. Der 69-Jährige bekomme den Literaturnobelpreis für seine „Kunst der Erinnerung“, er rufe mit seiner Sprache unbegreifliche menschliche Schicksale wach, teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit.
Es ist das 15. Mal, dass der Preis nach Frankreich geht. Damit baut die westeuropäische Kulturnation ihren Rekord bei diesem Nobelpreis vor Großbritannien und den USA mit jeweils elf Gewinnern aus.
Die Ehrung des in Deutschland bislang wenig gelesenen Autors stieß bei Experten teils auf Lob, aber auch auf Unverständnis. Der bei Paris geborene Autor ist der 111. Träger des Preises. Die Akademie konnte den Preisträger in den ersten Stunden nach der Bekanntgabe zunächst nicht erreichen.
Als Entdecker Modianos für den deutschsprachigen Raum gilt seit Mitte der 80er Jahre der Österreicher Peter Handke. Er übersetzte dessen Romane „Die kleine Bijou“ und „Eine Jugend“. Handke gilt selbst oft als Kandidat für den Nobelpreis. Bekannte Werke von Modiano sind auch „Villa triste“, „Der Horizont“, „Place de l'Étoile“, „Sonntage im August“ und „Aus tiefstem Vergessen“.
Kaum überrascht von der Wahl zeigte sich der deutsche Verlag Hanser: Modiano sei schon länger ein heißer Kandidat gewesen, sagte der Verleger Jo Lendle. Er kündigte an, dass der neue Roman „Gräser der Nacht“ bereits in einigen Tagen, deutlich früher als geplant, in Deutschland erscheinen soll.
Frankreichs Staatspräsident François Hollande würdigte Modianos Werk: „Er führt seine Leser bis in die tiefen Wirren der dunklen Besatzungsperiode.“ Premierminister Manuel Valls bescheinigte dem Schriftsteller einen knappen und treffsicheren Stil. Zuletzt hatte 2008 ein Franzose den Nobelpreis für Literatur bekommen: der heute 74-jährige Jean-Marie Gustave Le Clézio.
Modiano sei „ein Marcel Proust unserer Zeit“, sagte Peter Englund, Ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie. Er schreibe „sehr elegante Bücher, aber sie sind nicht schwierig zu lesen“. Der ausgewiesene Paris-Kenner habe ein „großes Werk“ geschaffen. „Er hat insgesamt um die 30 Bücher geschrieben, hauptsächlich Romane, aber auch Kinderbücher, Drehbücher.“
Der ARD-Literaturkritiker Denis Scheck („Druckfrisch“) zeigte sich begeistert: „Der Preis geht an einen Autor, der in seinem Werk scheinbar Unvereinbares miteinander verbindet, der ein gleichermaßen souveräner Artist und besessener Archivist ist.“ Schwedische Kritiker bemängelten dagegen, das Werk sei „nicht besonders spannend“, sogar „langweilig“. „Hat man drei Bücher von ihm gelesen, kennt man ihn“, meinte die Literaturwissenschaftlerin Ebba Witt-Brattström.
Im vergangenen Jahr hatte die kanadische Kurzgeschichten-Autorin Alice Munro den Literaturnobelpreis erhalten. Letzte deutschsprachige Preisträger waren Herta Müller (2009), Elfriede Jelinek (2004) und Günter Grass (1999). Der Literaturnobelpreis wird seit 1901 vergeben. Er ist wie die anderen Nobelpreise mit acht Millionen schwedischen Kronen (rund 880 000 Euro) dotiert.
Verliehen wird er traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des schwedischen Preisstifters und Industriellen Alfred Nobel (1833-1896). An diesem Tag werden in Stockholm auch die wissenschaftlichen Auszeichnungen vergeben. An diesem Freitag wird der Name des Friedensnobelpreisträgers 2014 verkündet.