Läuse, Noten, Helikopter-Eltern
Elternabende können zu einer Herausforderung werden. Manches Treffen wird zum Schlachtfeld, wie ein neues Buch behauptet.
Düsseldorf. Im Herbst sitzen sie wieder beisammen — Mütter, Väter und Lehrer. In den Wochen nach Schulstart haben Elternabende Hochsaison. Bestenfalls sind sie ereignislos. Elternsprecher werden gewählt, Lehrer stellen sich und ihre Pläne fürs neue Schuljahr vor, und 90 Minuten später ist alles vorbei. Doch so harmonisch ist es nicht immer, wie Eltern und Pädagogen wissen. Nicht selten harrt man bis in den späten Abend auf unbequemen Kinderstühlen aus, während ringsum erbitterte Diskussionen toben, oft ebenso absurd wie endlos und gespickt mit persönlichen Angriffen.
„Schlachtfeld Elternabend“ heißt das Buch von Anja Koeseling und Bettina Schuler, das dieses Thema in neun lustigen und bisweilen bitteren Kapiteln aufgreift, die von 15 Eltern und sechs Lehrern geschrieben wurden.
Eine subjektive Auswahl der Dauerbrenner: Der Schulranzen ist zu schwer. Die Toiletten zu schmutzig. Die Matheprobe zu kompliziert. Die Notengebung unfair. Gerne wird das skandinavische Bildungssystem gepriesen, meist verbunden mit dem Ruf nach alternativen Lernformen, was wiederum die konservative Fraktion auf den Plan ruft: „Früher gab‘s mehr Disziplin.“ Aufregerthema Nummer eins: das Schulessen. Zu viel Fleisch, zu wenig Fleisch, lieber mehr Gemüse oder doch häufiger Pommes und Pizza? Vielleicht vegan, aber unbedingt biologisch und bitte, bitte bloß keine Tiefkühlkost.
Die handelnden Personen ähneln sich, egal ob in Miesbach, Wuppertal oder Hamburg getagt wird. „Schlachtfeld Elternabend“ zählt sie auf: Karriereeltern mit Bestnoten-Anspruch, Helikoptereltern in Panik vor dem Wandertag („Sie müssen zweimal umsteigen. Wie viele Kinder werden Sie auf dem Weg wohl verlieren?“), Ökofrauen oder Supermütter, die zwischen Hausaufgaben und Kuchenbacken fürs Schulbuffet nicht verstehen, dass manche andere Prioritäten setzen. Und dann noch jene, „die aus einem Elternabend am liebsten ein dreitägiges Symposium machen würden“, wie ein Lehrer schreibt.
Koeseling denkt an die Schulzeit ihrer Tochter: „Mein längster Elternabend ging bis kurz nach elf“, sagt sie. „Diskussionen, ob Kinder es schaffen, 45 Minuten ohne trinken auszukommen, haben sich mir richtig eingebrannt“, ebenso wie Geschichten über Läuse, die sich natürlich immer nur auf den Köpfen der anderen Kinder tummeln.
Auch Pädagogen kommen zu Wort: „Früher war ein Lehrer so etwas wie Staatsanwalt, Richter und Henker in einem. Heute saß er selbst auf der Anklagebank“, schreibt ein Pädagoge, der den erbitterten Streit zwischen zwei Müttern schlichten will und selbst ins Kreuzfeuer gerät. Nett auch: Eltern, die den Unterricht jeden Tag via Facebook an alle kommentieren. Alles wahr, verrät ein Lehrer, ebenso wie eine Mutter, die am Elternabend mit drei Ordnern auflief, „vollgepackt mit Expertenmeinungen zu Unterricht, Erziehung und Pädagogik“. Natürlich erste Reihe. „Und es gab keinen Zweifel daran, dass sie reden wollte. Lange und intensiv.“
Koeseling hat eine Erklärung dafür, warum Elternabende oft aus dem Ruder geraten. „Ich glaube, das große Problem auf den Elternabenden ist, dass jeder nur sein Kind sieht.“ Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) versteht das. Jede Mama wolle nur das Beste für ihr Kind, sagt die Schulpsychologin. „Wir müssen gucken, warum ist die Mama so garstig und kommt mit dem Anwalt wegen der drei. Nicht, weil sie den Lehrer blöd findet oder weil sie die Probe anklagt, sondern letztendlich, weil das Kind aufs Gymnasium gehen muss. Und das geht nur mit der zwei.“
Viele Eskalationen gründen ohnehin tiefer: „In dem Moment, wo sich ein Vater in den kleinen Stuhl setzt und in der Perspektive seines Sohnes da hockt, passieren emotionale psychische Prozesse, die damit zu tun haben, dass sich die Eltern in diese Ebene des Kindseins zurückversetzen“, erklärt Fleischmann.
Und tatsächlich: Kaum sitzt man im Klassenzimmer, tauchen eigene Schulerinnerungen auf: Die bösen Blicke beim Tuscheln mit dem Banknachbarn, die Langeweile, das permanent schlechte Gewissen. Bloß die Menschen drumherum sind anders. Oder auch nicht, wie Koeseling beobachtet hat: „Die zickigen Mütter waren schon in der achten Klasse zickig.“